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wissenschaftliche Hintergründe zum Ursprung des Lebens - Seite 5 Empty hat Kepler einen bewohnbaren Planeten?

Beitrag von Eaglesword So 30 Aug 2015, 12:51

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29.08.15  Die Suche nach der zweiten Erde
Im Sommer gingen Bilder von einer zweiten Erde („Kepler-452b“) durch die Presse, die den Eindruck einer recht detaillierten Fotographie erwecken. Tatsächlich wissen wir nur durch Helligkeitsschwankungen des Zentralgestirns etwas über diesen Planeten. Die Darstellungen in der Presse sind für Laien, also für die große Anzahl der Leser, irreführend.
Gastbeitrag von Albrecht Ehrmann
Am 23. Juli 2015 veröffentlichte die NASA die Entdeckung des Planeten Kepler-452b1 mit dem Titel „NASA’s Kepler Mission Discovers Bigger, Older Cousin to Earth“.2 In der Presse fand man dazu eine schöne Illustration, die von T. Pyle stammt (http://images.techtimes.com/data/images/full/115098/kepler-452b-and-earth.jpg?w=600). Auf ihr sieht man auf der linken Seite die Erde, auf der rechten Seite augenscheinlich den Planeten Kepler-452b. In der Mitte ist ein Trennungsstrich und je die Hälfte der Sonne und des Sterns Kepler-452. Der Planet Kepler-452b ist 60% größer als die Erde. Man ist beeindruckt von der Detailtreue des Bildes von Kepler-452b, sieht dunkle Strukturen, die an Seen und Flussläufe erinnern, weiße Wolken und feste Oberflächenstrukturen in Brauntönen. Leider wird in den Begleittexten dazu nicht klar, was an diesem Bild Phantasie ist und was tatsächlich auf Messdaten beruht, da lediglich das Gesamtbild als Illustration bezeichnet wird. Im Text erfährt man immerhin, dass die Forscher nur vermuten, dass Kepler-452b „felsisch“ ist, also eine feste Oberfläche und eine Atmosphäre mit einer geringen Dicke hat.
Worin bestehen nun tatsächlich die Messdaten bzw. was lässt sich aus ihnen ableiten? Das Studium des Fachartikels3 gibt darüber Aufschluss. Der Planet wurde bei der Analyse der Daten des Kepler-Weltraumteleskops mit der so genannten Transitmethode (s. u.) entdeckt.
Das Kepler-Weltraumteleskop hat von 2009 bis 2013 111.800 Sterne gleichzeitig ins Visier genommen und kontinuierlich deren Helligkeit registriert. Bei der Analyse der Daten, die immer noch andauert, wird gezielt auf relativ kurze, periodisch auftretende Verdunkelungsereignisse geachtet. Zieht nämlich ein Planet längs der Sichtlinie zwischen dem Satelliten und dem Stern vorbei (= Transit), verdunkelt er diesen ganz geringfügig für eine gewisse Zeit. Dies ist analog zu den Venustransits in unserem eigenen Planetensystem vor einigen Jahren, als das kleine, dunkle Venusscheibchen von der Erde aus gesehen über die Sonnenscheibe wanderte. Wiederholt sich eine solche Verdunkelung in periodischen Abständen, ist es wahrscheinlich, dass ein Planet, der um diesen Stern kreist, die Ursache ist.
Bei Kepler-452b konnte man vier solcher Verdunkelungen um 0,02 % beobachten. Bevor man aber die Entdeckung ines neuen Planeten publizieren kann, müssen noch einige Tests gemacht werden, um eine Verwechslung mit anderen Phänomenen auszuschließen. So reicht beispielsweise die optische Auflösung des Kepler-Teleskops nicht aus, um zu prüfen, ob das Licht nur vom Stern Kepler-452 stammt oder ob es mit dem Licht anderer Sterne vermischt ist. Deshalb wurden mit dem 10 m-Spiegel des Keck II-Teleskops auf Hawaii hochaufgelöste Bilder aufgenommen und dabei keine Nachbarsterne gefunden. Außerdem wurden noch weitere Tests  bei Kepler-452 durchgeführt und damit alternative Erklärungen für die periodischen Intensitätseinbrüche ausgeschlossen. Als Ergebnis erhielt man den Planeten Kepler-452b mit einer Umlaufdauer von 385 Tagen und einem Durchmesser, der 1,4% des Sternendurchmessers beträgt. Über hochaufgelöste Spektren des Sterns Kepler-452 erhält man durch den Vergleich mit Spektren von Sternen, deren Durchmesser man kennt, dessen Durchmesser von 1,1 Sonnendurchmessern. Damit ergibt sich, dass der Planet Kepler-452b  1,6 mal so groß ist wie die Erde.
Außer diesen wenigen, aus den Helligkeitsschwankungen des Zentralgestirns abgeleiteten Größen weiß man von diesem mutmaßlich erdähnlichen Planeten definitiv nichts.
Von anderen Planeten ähnlicher Größe konnte man die Masse und damit die Dichte bestimmen bzw. herleiten. Aus diesen Angaben folgern die Forscher, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Planet Kepler-452b ein Gesteinsplanet ähnlich der Erde ist, bei 49% bis 62% liegt. Allerdings muss man dazu sagen, dass diese Daten nicht aus einer Gruppe von Planeten mit ähnlicher Konfiguration wie Kepler-452b gewonnen wurden, sondern von Planeten, die um kleinere Sterne in kleinerem Abstand zum Stern kreisen.
Wann wissen wir mehr von Kepler-452b? In absehbarer Zeit wird kein Wissenszuwachs erwartet. Es wird eher erwartet, dass man erdgroße Planeten bei sonnenähnlichen Sternen in deren habitabler Zone4 findet, die nicht so weit entfernt sind wie Kepler-452. Von diesen nahen Sternen nimmt man Spektren des Sternenlichts abseits und während der Transits der Planeten auf. Aus der Differenz dieser Spektren erhält man spektrale Information von der Atmosphäre der Planeten, durch die das Sternenlicht während der Transits auf dem Weg zu uns hindurchstrahlt. Chemische Verbindungen wie beispielsweise Methan absorbieren in charakteristischen Linien, man kann also damit herausfinden, welche Gase in der Planetenatmosphäre vorhanden sind.5
Um jedoch ein Bild von Kepler-452b zu erzeugen, das so detailliert wie die Illustration ist, bräuchte man ein optisches Teleskop mit Objektivdurchmesser, der etwa sieben Mal  so groß ist wie die gesamte Erde. Davon sind wir im wahrsten Sinne des Wortes meilenweit entfernt. Selbst ambitionierte Projektstudien zu Weltraum-Interferometern mit nicht so weitreichenden Zielen wurden eingestellt und erst mal auf unbestimmte Zeit verschoben. Eine detaillierte Darstellung mit „Bild: NASA“ ist daher grob irreführend.
Anmerkungen und Quellen
1 Sterne werden mit Zahlen bezeichnet (also z.B. Kepler-452); entdeckt man bei ihnen Planeten, werden diese mit Kleinbuchstaben markiert, angefangen mit b.
2 http://www.nasa.gov/press-release/nasa-kepler-mission-discovers-bigger-older-cousin-to-earth; Übersetzung: „NASA‘s Kepler Mission entdeckt größeren, älteren Cousin der Erde“
3 Jenkins JM et al. (2015) The Astronomical Journal 150 56. doi:10.1088/0004-6256/150/2/56. Preprint arxiv: 1507.06723
4 Ein Planet ist in der habitablen Zone seines Planetensystems, wenn die Temperatur auf seiner Oberfläche so ist, dass Wasser flüssig ist, denn dies wird als notwendige Bedingung für Leben erachtet; in der Praxis kennt man nur den Abstand der Planeten von ihrem Zentralgestirn und die abgestrahlte Leistung desselben und weiß nichts über ihre Atmosphäre (Stärke des Treibhauseffekts unbekannt); die „optimistische“ habitable Zone für unser Sonnensystem geht so von der Venusbahn bis kurz vor die Marsbahn.
5 Wilson PA et al. (2014) Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 438 (3), 2395-2405, Preprint in arXiv:1312.1360


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Beitrag von Eaglesword Do 12 Nov 2015, 02:54

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09.11.15  Dino-Doppelgänger des Vogel Strauß
Ein jüngst veröffentlichter Dinosaurier-Fund bestätigt, dass die Ornithomimiden („Vogel-Nachahmer“) befiedert waren, und dokumentiert darüber hinaus eine sehr ähnliche Befiederung wie bei heutigen großen Laufvögeln – eine bemerkenswerte Parallele ohne nähere Abstammungsverwandtschaft. In die bisher favorisierten evolutionären Abstammungsfolgen passt der Fund nicht gut bzw. nur mit Zusatzannahmen, insbesondere der Annahme einer unabhängigen Entstehung typischer Elemente des Laufvogel-Bauplans und eventuell der Federn.
Die „Vogel-Nachahmer“ unter den Dinosauriern, die Ornithomimidae, sind schon seit langem bekannt, vor allem aus den geologischen Schichten der Oberkreide Ostasiens und des westlichen Nordamerika. Sie gehörten zu den Theropoden (zweibeinig laufende Raubdinosaurier), besaßen einen schlanken Körperbau, wurden meist 3-6 Meter lang, und man vermutet, dass sie schnelle Läufer waren, vergleichbar den heutigen Laufvögeln (dafür spricht z. B., dass die Unterschenkel länger waren als die Oberschenkel, was ein Indiz für schnelles Laufen ist). Vogeltypisch war auch der zahnlose Schnabel. Der Schädel war langgestreckt und relativ klein, mit großen seitlich platzierten Augen und vermutlich gut entwickeltem Gehirn; Hirnschädel und Schnauzenregion besaßen luftgefüllte Hohlräume.
Erst vor kurzem sind bei einigen Exemplaren auch Reste federartiger Anhänge und eine flügelartige Struktur mit verlängerten Federn (ein sogenanntes „Pennibrachium“) nachgewiesen worden (Zelenitsky et al. 2012). Das war insofern überraschend, als die Ornithomimiden zwar aufgrund ähnlicher Merkmale als „Vogelnachahmer“ bezeichnet (s. o.), aber ansonsten mit den Vögeln nicht als näher verwandt betrachtet werden. (Der evolutive Weg zu den Vögeln soll über andere Gruppen gelaufen sein.) Daher wurde die evolutionstheoretische Hypothese formuliert, dass schon bei den gemeinsamen Vorfahren der Ornithomimiden und der Vögel Federn ausgebildet waren.1 Daraus würde allerdings folgen, dass viele Formen danach die Federn wieder zurückgebildet oder verloren hätten. Außerdem müssten diese gemeinsamen Vorfahren im evolutionären Modell mehr als doppelt so alt wie die befiederten Formen der Ornithomimiden gewesen sein – alles Befunde, die evolutionstheoretisch nicht gut passen. Heute ist aber auch die Annahme nicht mehr tabu, dass Federn in verschiedenen evolutionären Linien mehrfach unabhängig entstanden sein könnten (Brusatte et al. 2015, R892), was nicht-zielgerichtete evolutionäre Mechanismen vor noch größere Herausforderungen stellt als die Erklärung einer einmaligen Entstehung.
Nun berichten van der Reest et al. (2016) von einem neuem Ornithomimus-Fund. Er stammt wie die anderen Ornithomimus-Funde mit Federresten aus der Oberkreide Nordamerikas (Dinosaur Park Formation of Alberta, Kanada). Das Tier war bis zu vier Meter lang; Kopf und Vorderextremitäten sind allerdings nicht erhalten. Das Besondere an diesem bereits 2009 gemachten Fund: Nicht nur Federn sind in sehr guter Erhaltung überliefert, sondern es ist auch klar erkennbar, welche Körperteile nicht befiedert waren, da im Bereich des Fußes auch fossile Spuren von Hautresten sehr gut sichtbar sind. Die Befiederung an Schwanz und an den Beinen und die nackten Bereiche ähneln stark den Verhältnissen heutiger großer Laufvögel wie Strauß oder Emu (Bild eines rekonstruierten Tieres z. B. hier: http://cdn.phys.org/newman/gfx/news/hires/2015/preshistoric.jpg). So sind die Unterseite des Schwanzes und die Beine ab etwa der Mitte des Oberschenkels ungefiedert. Die Forscher schließen aus der gesamten Befundsituation auf eine ähnliche Thermoregulation bei Ornithomimus wie bei den heutigen Straußen. „Die federlose Haut unter dem Körper deutet darauf hin, dass die Tiere sogar den gleichen Mechanismus nutzen, um überschüssige Wärme loszuwerden. Auch die Chemie der Federn sei von modernen Vögeln praktisch nicht zu unterscheiden, betont van der Reest.2
Da die Ornithomimiden und die heutigen großen Laufvögel im aktuell favorisierten Evolutionsmodell auf relativ weit entfernten Ästen angeordnet sind, werden die genannten weitreichenden Ähnlichkeiten als Konvergenzen (=unabhängig entstandene Ähnlichkeiten) interpretiert; sie werden also nicht als Indizien für gemeinsame Abstammung gewertet. Erstaunlich ist vor diesem Hintergrund die Auffassung eines der Autoren, der Fund erhärte die klassische These, nach der Vögel eine Gruppe innerhalb der Dinosaurier darstellen.3 Das ist aus zwei Gründen schwer nachvollziehbar:
1. Die Schichten, in denen Ornithomimus gefunden wurde, werden auf etwa 72 Millionen radiometrische Jahre datiert (Oberkreide, Campanium). Der berühmte „Urvogel“ Archaeopteryx mit unbestritten „moderner“ Befiederung hat das doppelte radiometrische Alter, und zahlreiche eindeutig flugfähige Vogelgattungen der Unterkreide sind ebenfalls deutlich älter datiert als Ornithomimus.
2. Da die Ornithomimiden auf einen systematischen Ast gestellt werden, der nicht zu den Vögeln überleitet, können sie auch nicht in eine enge phylogenetische Beziehung zu den Vögeln gebracht werden. Eine  evolutive Verbindung Vögel-Dinosaurier wird durch die Ornithomimiden allenfalls sehr indirekt unterstützt (z. B. durch die Annahme mutmaßlicher entfernterer gemeinsamer Vorfahren; s. o.), und zweifellos gibt es für eine solche Verbindung bessere Kandidaten unter den Theropoden. Die Ornithomimiden sind für den Übergang von den Dinosauriern zu den Vögeln jedenfalls keine geeigneten Kronzeugen – im Gegenteil: Sie zeigen, dass auch die genannten weitreichenden Ähnlichkeiten nicht ohne weiteres als Hinweise auf eine gemeinsame Abstammung gedeutet werden können, sondern unter Umständen (wie hier) als Konvergenzen anzusehen sind. An die steigende Zahl von Konvergenzen auch von Schlüsselmerkmalen scheint man sich im Rahmen des Evolutionsmodells zwar zu gewöhnen; die damit verbundenen evolutionstheoretischen Fragen nach ihrer unabhängigen Entstehung bleiben dennoch ungelöst und fordern komplett neue Evolutionsmechanismen  (Diskussion dazu bei Braun 2012).
Keine Auskunft kann der neue Fund geben, wie im Verlauf der Evolution Federn entstanden sind. Das gilt insbesondere deshalb, weil das Federkleid von Ornithomimus als zurückgebildet interpretiert wird. Eine evolutionäre Neubildung von Federn bei Ornithomimus wäre noch unwahrscheinlicher, da dann noch weiter reichende Konvergenzen angenommen werden müssten.
Literatur
Braun HB (2012) Warten auf einen neuen Einstein. Stud. Integr. J. 19, 12-19.
Brusatte SL, O’Connor JK & Jarvis ED (2015) The origin and diversification of birds. Curr. Biol. 25, R888-R898.
Van der Reest AJ, Wolfe AP & Currie PJ (2016) A densely feathered ornithomimid (Dinosauria: Theropoda) from the Upper Cretaceous Dinosaur Park Formation, Alberta, Canada. Cretaceous Res. 58, 108-117.
Zelenitsky DK, Therrien F, Erickson GM, DeBuhr CL, Kobayashi N, Eberth DA & Hadfield F (2012) Feathered non-avian dinosaurs from North America provide insight into wing origins. Science 338, 510-514.
Anmerkungen
1 vgl.: „Alberta researcher’s discovery offers insight into feathered dinosaurs“, http://www.theglobeandmail.com/news/national/alberta-researchers-discovery-offers-insight-into-feathered-dinosaurs/article27024287/
2 „Dino hatte Schwanzfedern und nackte Beine“, http://www.spektrum.de/news/dino-hatte-schwanzfedern-und-nackte-beine/1373283
3 „Ornithomimus dinosaur with preserved tail feathers and skin tightens linkages between dinosaurs and birds“, http://phys.org/news/2015-10-ornithomimus-dinosaur-tail-feathers-skin.html 


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Beitrag von Eaglesword Mi 09 Dez 2015, 20:16

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08.12.15  Alte Vögel mit moderner Flugkunst
Eines der ältesten Fossilien aus der nur in der Kreide überlieferten Gruppe der „Gegenvögel“ (Enantiornithes) zeigt eine Reihe von Merkmalen auf, die für eine sehr gute Flugfähigkeit sprechen – trotz deutlich verschiedener Anatomie im Vergleich mit heutigen Vögeln. Gemessen am Fossilbericht sind die Gegenvögel somit gute Flieger von Anfang an.
Die fossile Überlieferung der Vögel zeigt zwei Phasen eines plötzlichen Erscheinens vielfältiger Formen. Die eine liegt am Beginn des Tertiärs (wo die auch heute vorkommenden Vogelordnungen explosiv im Fossilbericht auftauchen), die andere in der Unterkreide, in deren geologischen Schichten ebenfalls ziemlich abrupt eine große Vielfalt von Vögeln mit anderer Anatomie als den heutigen überliefert ist. Der berühmte „Urvogel“  Archaeopteryx aus dem Oberjura datiert noch ca. 20 Millionen radiometrische Jahre älter; es ist aber nach wie vor umstritten, ob er aktiv fliegen konnte oder eher ein Gleiter war (Archaeopteryx – Gleitflieger und Bindeglied?). Andere eindeutig befiederte Formen aus dem Oberjura (z. B. Anchiornis) gelten als flugunfähig (Vierflügelige Vögel am Anfang?).
Die Kreidevögel unterscheiden sich anatomisch mehr oder weniger deutlich von den tertiären Vögeln und zeigen manche Gemeinsamkeiten mit zeitgleich lebenden Theropoden-Dinosauriern (zweibeinige Raubdinosaurier), die als ihre stammesgeschichtlichen Vorfahren gelten. Sie werden in zwei Gruppen unterteilt, die Enantiornithes („Gegenvögel“1; sind am Ende der Kreide ausgestorben) und die Ornithurae („Vogel-Schwänze“2), zu denen u. a. auch die heutigen Vögel gehören.
Eine Forschergruppe hat nun herausgefunden, dass die Enantiornithes trotz deutlich verschiedener Anatomie im Vergleich zu heutigen Vögeln überraschenderweise vergleichbare Fähigkeiten zu einem versierten Flug besaßen. Nachgewiesen wurde dies anhand eines sehr gut erhaltenen vorderen Teils einer Vorderextremität aus einem Kalkstein von Las Hoyas, Spanien (datiert auf 125 Millionen radiometrische Jahre), die aufgrund ihres Baus von einem enantiornithinen Vogel stammt (Navalón et al. 2015). Erhalten sind auch Hand- und Armschwingen. Das Besondere an dem Fund: Es sind Details von Muskeln, Bändern und Follikeln (in der Haut befindliche Basis der Federn) aus den Bereichen zwischen den Flügelteilen und Fingern (Propatagium, Postpatagium und Patagium der Alula3) in Form von Abdrücken erhalten. Der Fund aus Las Hoyas lässt auch Verbindungen von Bindegewebsstrukturen mit den Ansätzen der Flugfedern erkennen; das gesamte komplizierte Netzwerk weist große Ähnlichkeiten mit den anatomischen Verhältnissen heutiger Vögel auf. Ein solch komplexes System aus Sehnen, Bändern, Bindegewebe und Muskeln ermöglicht eine ausgefeilte Manövrierbarkeit während des Fluges. Aus ihren Beobachtungen schließen die Autoren, dass die „Gegenvögel“ der Kreidezeit ebenso gut wie viele moderne Vögel „über den Köpfen der Dinosaurier“ fliegen konnten, wie der Leiter der Forschergruppe, L. M. Chiappe, es formuliert.4 „The anatomical match between the muscle network preserved in the fossil and those that characterize the wings of living birds strongly indicates that some of the earliest birds were capable of aerodynamic prowess like many present-day birds“ (Chiappe5). Bislang war man davon ausgegangen, dass die Gegenvögel der Unterkreide eher schlechte Flieger waren; das kann in dieser Pauschalität mit diesem Fund als widerlegt gelten. Die Gegenvögel starten gleichsam als gut ausgebildete Flieger; eine Evolution der Flugfähigkeit ist innerhalb dieser Gruppe somit nicht dokumentiert. Das Beispiel zeigt auch, dass es zu Fehlschlüssen kommen kann, wenn man die Funktionalität nur anhand von Knochenüberresten erschließen möchte (bzw. kann).
Navalón et al. (2015) stellen allgemein über die Gegenvögel am Schluss ihres Artikels fest, dass obwohl die Enantiornithinen eine Anzahl von primitiven Skelettelementen aufwiesen, bereits die frühesten unter ihnen (Protopteryx fengningensis) Vorderextremitäten mit modernen Proportionen besaßen, außerdem ein gekieltes Brustbein, einen „fortschrittlichen“ Schultergürtel mit einem Kanal für die Passage der Flugmuskeln (triosseal canal), was alles auf die Fähigkeit zu aktivem Flug und Flügelschlag ähnlich dem heutiger Vögel hinweise. Auch Ähnlichkeiten der Körperbedeckung mit heutigen Vögeln mit identischer Federanordnung würden in diese Richtung weisen.
Es sei noch angemerkt, dass auch unter den Ornithurae eine der ältesten Formen als guter Flieger angesehen wird (vgl. Der älteste „echte“ Vogel: überraschend modern).
Literatur
Navalón G, Marugán-Lobón J, Chiappe LM, Sanz JL & Buscalioni A (2015) Soft-tissue and dermal arrangement in the wing of an Early Cretaceous bird: Implications for the evolution of avian flight. Sci. Rep. 5:14864.
Anmerkungen
1 Es gibt in der Fachliteratur keine einheitliche Begründung für die Bezeichnung „Gegenvögel“. Es wird auf zwei anatomische Besonderheiten hingewiesen, die die Enantiornithes von anderen Vögeln unterscheiden: Zum einen die Art der Verwachsung einiger Fußknochen, zum anderen der Bau des Gelenks zwischen Schulterblattund Rabenbein. Bei den Gegenvögeln sind Gelenkkopf und Gelenkpfanne im Vergleich zu allen anderen Vögeln sozusagen vertauscht. Es ist schwer denkbar, wie die eine anatomische Ausprägung in die andere evolutiv überführt werden könnte.
2 Es gibt keine eingebürgerte deutsche Bezeichnung, der Name bezieht sich auf den kurzen knöchernen Schwanz, wie er auch für die heutigen Vögel typisch ist.
3 Daumenfittich, wichtig z. B. für Manöver beim Landen.
4 http://www.sciencenutshell.com/the-bird-who-flew-above-dinosaurs-heads/
5 http://www.eurekalert.org/pub_releases/2015-10/nhmo-taf100615.php


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Beitrag von Eaglesword Di 15 Dez 2015, 22:08

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14.12.15 
Nichts in der Biologie macht Sinn außer im Licht der Theologie?

Kein Zitat in der Biologie ist wohl bekannter als der Satz„Nothing in biology makes sense except in the light of evolution“. Er dient als Überschrift eines 1973 veröffentlichten Artikels eines der bedeutendsten Evolutionsbiologen des 20. Jahrhunderts, Theodosius Dobzhansky. Stephen Dilley, Philosophieprofessor an der St. Edward‘s University Austin/Texas, legt eine detaillierte Analyse dieses Artikels vor und kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Alle Argumente, die Dobzhansky als Belege für Evolution bringt, fußen unverzichtbar auch auf theologischen Aussagen. Ohne explizite Aussagen über einen Schöpfer sind Dobzhanskys Argumente ausnahmslos logisch nicht schlüssig. Und Dobzhansky ist damit nicht alleine. Auch andere bekannte Evolutionsbiologen stützen Behauptungen zu Evolutionstheorien mit Aussagen darüber, was Gott in der Geschichte des Lebens tun oder nicht tun würde – in einem überraschenden Ausmaß.
Er dürfte einer der meistzitierten Sätze in der biologischen Literatur sein: „Nothing in biology makes sense except in the light of evolution.“ Bei diesem Satz handelt es sich um die Überschrift eines Artikels, den der russisch-amerikanische Genetiker und Evolutionsbiologe Theodosius Dobzhansky in der Zeitschrift TheAmerican Biology Teacher veröffentlicht hat (Dobzhansky 1973). Dobzhansky gehört zusammen mit Ernst Mayr und anderen zu den führenden Vertretern der sogenannten Synthetischen Evolutionstheorie, die in den 1940er Jahren entwickelt wurde. Er wollte in diesem Artikel die besten Argumente für Evolution präsentieren, und man sollte meinen, dass diese Argumente sich aus den biologischen Daten ergeben. In diesem Sinne wurde dieser berühmte Satz auch gewöhnlich zitiert, auch wenn kaum jemand Dobzhanskys Artikel gelesen haben dürfte.
Die Lektüre bietet jedoch eine Überraschung: Alle Argumente, die Dobzhansky als Belege für seine These bringt, fußen unverzichtbar auch auf theologischen Aussagen. Das heißt: Sie sind nur gültig, wenn man Annahmen über Gottes Natur, seine Schöpfungsmethode oder seine Absichten und Ziele hinzunimmt. Ohne explizite Aussagen über einen Schöpfer sind Dobzhanskys Argumente ausnahmslos logisch nicht schlüssig. Diesen überraschenden Befund arbeitet Stephen Dilley, Philosophieprofessor an der St. Edward‘s University Austin/Texas, in einem philosophischen Fachartikel heraus und weist darüber hinaus darauf hin, dass auch weitere berühmte Evolutionsbiologen wie z. B. Ernst Mayr, Douglas Futuyma oder Stephen Jay Gould Argumente pro Evolution verwenden, die Bezug auf theologische Aussagen nehmen und ohne diesen Bezug logisch nicht schlüssig sind (Dilley 2013). Dilley zeigt außerdem, dass manche Argumente im berühmten Artikel Dobzhanskys in sich widersprüchlich sind. Im Folgenden werden die wichtigsten Punkte seiner Analyse zusammengefasst.

Dilleys Analyse
Dobzhansky thematisiert sieben evolutionstheoretisch relevante Themengebiete: Radiometrische Datierung, Vergleichende Biologie, Embryologie, Adaptive Radiation, biologische Vielfalt, molekulare Homologie (biochemische Universalien) und Paläontologie. Es geht ihm dabei im Wesentlichen nur um die Frage der gemeinsamen Abstammung (Deszendenz), weniger um die Frage nach den evolutionären Mechanismen (ab und zu nimmt er Bezug auf natürliche Selektion). Auf allen Gebieten führt er einen Vergleich durch: Die Daten seien besser durch eine natürliche Evolution zu erklären als durch eine direkte Schöpfung.1 Die in diesen Vergleichen zugrundeliegenden Schöpfungsvorstellungen entnimmt Dobzhansky jedoch erstaunlicherweise nicht der kreationistischen Literatur, sondern formuliert seine eigenen Vorstellungen über die Vorlieben und Handlungsweisen des Schöpfers2, um dann zu zeigen, dass nur eine evolutive Entstehung der jeweiligen Phänomene zu den betreffenden Gottesvorstellungen passt. Die Grundform seiner Argumentation, die Dilley (2013, 775) aus seinen Ausführungen herausarbeitet,  kann man wie folgt zusammenfassen:
1. Wenn Evolution wahr ist, ist das Naturphänomen X zu erwarten.
2. Wenn Kreationismus3 wahr ist, ist das Naturphänomen X nicht zu erwarten.
3. Wenn ein Befund im Rahmen der einen Hypothese zu erwarten ist, nicht aber im Rahmen der anderen Hypothese, dann „macht er Sinn“ nur im Licht der ersteren, nicht aber im Licht der letzteren.
4. Daher macht eher Evolution als Kreationismus Sinn für das Naturphänomen X.
Prämisse 2 nimmt dabei immer Bezug auf eine Annahme darüber, was ein Wunder vollbringender Gott tun würde oder was er nicht tun würde. Das ist die theologische Aussage, die Dobzhansky benötigt, um seinen Schluss auf Evolution als einzigen „Lichtträger“ ziehen zu können.
Die Argumentation Dobzhansky hat in manchen Fällen eine etwas andere Form:
1. Entweder Evolution oder Kreationismus macht Sinn für ein Naturphänomen X.
2. Die kreationistische Erklärung von X impliziert, dass Gott auf eine Art und Weise Y gehandelt hat (oder dass er die Eigenschaft Z hat).
3. Gott würde nicht in Y-Weise handeln (oder hätte nicht die Eigenschaft Z).
4. Daher macht Evolution, nicht aber Kreationismus Sinn für ein Naturphänomen X.
Auch in dieser Version hängt die Schlussfolgerung von konkreten Aussagen über die Eigenschaften oder das Wirken Gottes ab.

Ein Beispiel: Einheit des Lebens
Im Folgenden soll diese allgemeine Argumentation an einem der sieben Themenfelder erläutert werden (Dilley macht das ausführlich für alle sieben Themen), nämlich am Beispiel der „Einheit des Lebens“. Gemeint ist damit, dass es Gemeinsamkeiten gibt, die alle Lebewesen teilen, z. B. den genetischen Code, den Vorgang der Übersetzung von RNA in Proteine (Translation) oder bestimmte Vorgänge im Zellstoffwechsel (Dilley 2013, 780; Dobzhansky 1973, 127). Dilley fasst die Argumentation Dobzhanskys zu diesem Befund wie folgt zusammen:
1. Wenn die Evolutionstheorie (gemeint ist wie erwähnt die Abstammung, nicht die Frage der Evolutionsmechanismen) wahr ist, sind bestimmte biochemische Universalien (z. B. der genetische Code) sehr stark zu erwarten.
2. Wenn Kreationismus wahr ist, sind diese biochemischen Universalien nicht zu erwarten.
3. Wenn die Befunde von der einen Hypothese sehr stark, von der anderen aber gar nicht erwartet werden, machen sie nur Sinn im Licht der ersteren Hypothese.
4. Daher macht nur die Evolutionstheorie, nicht aber der Kreationismus Sinn in Bezug auf bestimmte biochemische Universalien wie dem genetischen Code.
Prämisse 2 hat offenkundig theologischen Inhalt. Seltsamerweise begründet Dobzhansky die Richtigkeit dieser Prämisse gar nicht, und sie wird auch nicht von Kreationisten vertreten. Vielmehr argumentiert Dobzhansky hier mit einer stillschweigenden Annahme, nämlich dass die Einheitlichkeit des Lebens nicht vereinbar sei mit der Freiheit eines Schöpfers, so zu handeln, wie er wolle (Dilley 2013, 780).
Dobzhansky hält die biochemische Einheitlichkeit des Lebens für den eindrucksvollsten Hinweis auf Evolution; dieser hängt offenbar unabdingbar von einer theologischen Annahme ab, denn ohne Prämisse 2 kann der von ihm durchgeführte Schluss auf Evolution nicht gezogen werden.

Willkürliche theologische Annahmen
Die hier von Dobzhansky zugrunde gelegte theologische Annahme ist aber nicht nur willkürlich, sie ist sogar widersprüchlich zu einer anderen theologischen Annahme, die er bei einem anderen Argument macht. Denn bei der Argumentation zur Vielfalt des Lebens sieht Dobzhansky keinen vernünftigen Grund, warum Gott eine immense Anzahl von Arten erschaffen sollte (Dilley 2013, 777). Hier argumentiert er also genau anders herum, nämlich gegen Vielfalt (er erwartet nicht, dass ein Schöpfer so vielfältig erschafft). Im anderen Beispiel (biochemische Einheitlichkeit) dagegen argumentiert er für Vielfalt (er erwartet, dass der Schöpfer vielseitiger erschafft als beobachtet). Dobzhansky argumentiert mit seiner Gottesvorstellung also immer so, dass daraus ein theologisches Argument gegen die Schöpfungshypothese folgt, das dann in seinen Beweisgang eingeht.
Dilley zeigt auch anhand der anderen Beispiele, wo die theologischen Annahmen  zum Tragen kommen, wobei sie auch etwas versteckt sein können, z. B.: Gott würde uns nicht über Isotopenverhältnisse täuschen (die in radiometrische Datierungen eingehen); wenn Gott durch natürliche Selektion schaffen würde, sollte kein Plan in der organischen Vielfalt erkennbar sein, und umgekehrt wenn er durch direkte Schöpfungsakte die Lebewesen hervorgebracht hätte, sollte Plan und Zweck in der organischen Vielfalt erkennbar sein; im Falle einer Schöpfung sind Homologien (Bauplanähnlichkeiten) unter den Wirbeltieren nicht zu erwarten usw.4 Dilley stellt mit Erstaunen fest, dass Dobzhansky durchweg keine Begründungen für seine speziellen Behauptungen über Gott liefert und darüber hinaus in manchen Fällen die von ihm angenommene Handlungsweise Gottes auch noch moralisch bewertet. Auch diese moralischen Bewertungen gehen in Dobzhanskys Beweisgang ein, indem er annimmt, dass Gott nicht auf eine Weise handeln würde, die er, Dobzhansky, für unmoralisch hält.
Ob Dobzhanskys moralische Urteile gerechtfertigt sind, soll hier nicht diskutiert werden; Dilley befasst sich mit dieser Frage aber auch und zeigt, dass diese Urteile vorschnell bzw. fragwürdig sind. Es soll hier nur der Aspekt herausgestellt werden, dass Dobzhansky in einem erheblichen Umfang mit eigenen spezifischen Urteilen und Kennzeichen über Gott operiert. Dilley stellt abschließend noch einmal heraus, dass auf diesem Weg theologische Aussagen getroffen werden, die zum einen dem Kreationismus „fremd“ sind, und die zum anderen auch gegen eine Reihe von traditionellen theologischen Traditionen stehen, die völlig unabhängig von den Auffassungen zeitgenössischer Kreationisten sind (S. 783). Dobzhanskys Theologie präsentiert sich selbstgemacht mit dem Ziel, für Evolution punkten zu können. Dilley (2013, 785) kommentiert: „His method typically involves discerning what evolutionary theory would predict about a certain phenomenon, then claiming that the God of creationism would do otherwise“ (S. 785) und „This ‘tactical potpourri theology,’ as I call it, deploys muddled content in order to achieve a polemical victory.“

Nicht nur Dobzhansky bringt Gott ins Spiel
Dilley weist auch auf die erstaunliche Tatsache hin, dass Evolutionsbiologen wie Gould, Dawkins, Coyne und andere zwar einen persönlichen Gott ablehnen, aber dennoch Behauptungen zur Stützung ihrer Evolutionstheorien aufstellen, die beinhalten, was Gott in der Geschichte des Lebens tun oder nicht tun würde. Qua Evolutionsbiologen sind sie dafür sicher nicht autorisiert, aber es kommt noch schlimmer: Nach Dobzhanskys Verständnis von Evolution, sind die Menschen gar nicht „geschaffen“, um etwas von Gott erkennen zu können, sondern sind nur da, weil günstige Umstände in der Umwelt und die nötige genetische Ausrüstung gegeben waren, um den Menschen möglich zu machen (Dobzhansky 1973, 1275). Schon Darwin bezweifelte aus evolutionstheoretischer Perspektive, dass Menschen vertrauenswürdige Urteile in Bezug auf Gott fällen könnten. Nach Dilley ist das ein weiterer Grund, weshalb in allen sieben Beweisen Dobzhanskys ungerechtfertigte Prämissen (über Gott) verwendet werden. Ähnliches gelte auch für andere Evolutionsbiologen, die Bezug auf die Natur Gottes nehmen. „Thus, given their understanding of evolution, some evolutionary biologists may have powerful reasons that undermine their claims about God’s nature“ (Dilley 2013, 785).
Dilley stellt gegen Ende seines Artikels klar, dass er selber nicht der Auffassung sei, dass Argumente für Evolution auf theologische Prämissen angewiesen seien; er will jedoch herausstellen, dass Argumente überraschend oft mit solchen Prämissen versehen sind, nicht nur in Dobzhansky Biology Teacher-Artikel, sondern in unzähligen Texten von Evolutionsbiologen wie z. B. Ayala, de Beer, Eldredge, Gould, Mayr, Kitcher, Coyne oder Dawkins6: „A surprising number of actual justifications for evolution hinge upon God-talk“ (S. 784); er bringt auf S. 774f. und S. 784 einen wahren Berg von Belegen und findet die Häufigkeit theologischer Argumente in naturwissenschaftlichen Abhandlungen rätselhaft.

Anmerkungen
1 Dobzhansky (1973, 127) bezeichnet direkte Schöpfung als „supernatural fiat“ bzw. als „separate fiat“.
2 „Dobzhansky does not simply borrow creationists’ own theology in order to counter creationism or to support evolution; instead, he imports partisan theology into his arguments for evolution. In particular, Dobzhansky draws on theological concepts foreign to creationism or appropriates elements of creationist theology in a manner alien to creationism. Dobzhansky, too, adds tendentious God-talk to the discussion“ (Dilley 2013, 775).
3 Gemeint ist die direkte Erschaffung von Lebewesen vor kurzer Zeit; vgl. Anm. 1. Dobzhansky verwendet außerdem sechs Mal den Begriff „antievolutionist“. Dilley stellt „Evolutionstheorie“ dem „Kreationismus“ gegenüber; gemeint ist mit „Evolutionstheorie“ aber nicht eine Kausaltheorie, sondern die Abstammung an sich (Deszendenz) und diese wird einer direkten Schöpfung gegenübergestellt. Die Gegenüberstellung Evolution – Kreationismus ist methodisch eigentlich nicht korrekt, aber sie wird hier so wiedergegeben, wie sie von Dobzhansky vorgenommen wird.
4 Dilley fasst auf S. 782f. insgesamt 17 theologische Aussagen zusammen. 5 „simply because there [was] an environmental opportunity and genetic wherewithal to make them possible.“ 6 Auch Charles Darwin hat sich in sehr ähnlicher Weise reichlich theologischer Aussagen bedient, um für Evolution zu argumentieren.

Literatur
Dilley S (2013) Nothing in biology makes sense except in light of theology? Studies in History and Philosophy of Biological and Biomedical Sciences 44, 774-786.
Dobzhansky T (1973) Nothing in biology makes sense except in the light of evolution. The American Biology Teacher (March), 125-129. (online frei verfügbar unter http://img.signaly.cz/upload/1/0/9a462eb6be1ed7828f57a184cde3c0/Dobzhansky.pdf)


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Beitrag von Eaglesword Mi 11 Mai 2016, 12:45

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09.05.16  Chemie der Lebensentstehung: Tiefseeschlote im Brennpunkt
Hydrothermalen Tiefseequellen nahe der Mittelozeanischen Rücken wird in vielen Szenarien zur Lebensentstehung eine bedeutende Rolle zugeschrieben. Nachdem die besonderen Bedingungen in den porösen Schloten bereits für die Synthese von RNA-Molekülen modelliert worden sind, wurde das Modell jetzt für kleinere Moleküle durchgerechnet. Offene Fragen und Hindernisse für eine plausible Wirksamkeit der Systeme bleiben aber unberücksichtigt.
Hydrothermale Tiefseequellen, die schwarzen oder auch weißen Raucher im Bereich der Mittelozeanischen Rücken, tauchen seit ihrer erstmaligen Beschreibung Mitte der 1970-er Jahre regelmäßig in Szenarien zur Entstehung des Lebens auf. Die in dem bis zu über 400° C heißen Wasser gelösten Mineralien werden ausgefällt, wenn die heiße Lösung durch Kontakt mit dem kalten Ozeanwasser (ca. 3° C) rasch abkühlt und sich so der namengebende „Rauch“ bildet. Aus diesen ausgefällten Mineralien bauen sich dann mit der Zeit die Schlote auf, aus denen das stark aufgeheizte, mit Mineralien übersättigte Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche des Ozeanbodens aufsteigt. Der poröse Aufbau dieser Schlote inspirierte Dieter Braun und seine Kollegen dazu, die Porenräume genauer zu studieren und die Auswirkungen von Temperaturgradienten in Röhren mit kleinen Querschnitten zu modellieren. Sie konnten zeigen, dass durch Thermophorese, also einem durch die Temperaturunterschiede verursachten Transport, kurze Nukleinsäuremoleküle in kapillaren Röhren angereichert werden können (Baaske et al. 2007). Diese Erkenntnisse wurden ebenso zur Entwicklung technischer Geräte genutzt wie auch zum Etablieren von Mechanismen zur Anreicherung von Biomolekülen im Zusammenhang mit der Chemie zur Lebensentstehung (Binder 2011, Imming 2015).
Nun hat eine Gruppe von Wissenschaftlern ein solches thermophoretisches System in einer Modellrechnung genutzt, um die Anreicherung von Formamid (NH2CHO) zu modellieren (Niether et al. 2016). Formamid hat in den Spekulationen zu präbiotischen Synthesen von Biomolekülen eine lange Tradition. Es lässt sich zwar analytisch fast überall nachweisen, jedoch in so geringen Konzentrationen, dass nicht nachvollziehbar ist, wie es bei der Synthese von Biomolekülen von Bedeutung sein kann. Die numerischen Modellierungen ergeben wie für die Nukleinsäuremoleküle unter entsprechenden Randbedingungen eine Anreicherung aus sehr verdünnten Formamidlösungen (10-3 Gewichts-%) auf 85 Gewichtsprozent. Bei Konzentrationen dieser Größenordnung scheint die Synthese z.B. von Stickstoffheterozyklen wie den Basen der Nukleinsäuren vorstellbar, wie die Autoren das im Titel ihrer Arbeit zum Ausdruck bringen.
Damit kann man die Veröffentlichung als ein weiteres Beispiel dafür betrachten, dass nur in begrenztem Umfang neue Erkenntnisse dokumentiert werden, diese aber durch die Verknüpfung mit dem die Fantasie anregenden Themenfeld der präbiotischen Lebensentstehung an prominenter Stelle erscheinen und damit die Chance haben, große Öffentlichkeitswirkung zu erzielen.
Bei einer kritischen Reflexion der Bedeutung der Thermophorese in porösen Schloten von heißen Tiefseequellen für die präbiotische Synthese von Biomolekülen bleibt eine Reihe von Fragen bisher unbeantwortet. Inwieweit spiegeln die modellierten Prozesse reale Abläufe in den Tiefseeschloten wieder? Ist thermophoretische Anreicherung von Stoffen im Allgemeinen und organischer Verbindungen im Besonderen dort nachweisbar? Sollte das der Fall sein, dann erhebt sich weiter die Frage, ob dieser Anreicherungsprozess irgendwelche Selektivität zeigt. Sollten sich die bisherigen Modellrechnungen bestätigen, dann scheint die Anreicherung eher allgemeinen Charakter zu haben. Das aber würde zu einer Lösung führen, die eine höhere Konzentration an vielen vorhandenen Chemikalien enthält und damit wenig zu einer spezifischen Synthese von erforderlichen Biomolekülen beitragen kann.
Insofern bleibt festzuhalten, dass thermophoretische Anreicherung in kapillaren Systemen ein sehr interessantes Phänomen ist, das technisch manche interessante Anwendung zu ermöglicht. Ob dieser Prozess tatsächlich in der Natur abläuft, bleibt ebenso zu zeigen wie auch, ob er das Potential hat, präbiotische Synthesen in irgendeiner Weise nachhaltig und spezifisch zu beeinflussen.
Literatur
Baaske P, Weinert FM, Duhr S, Lemke KH, Russell MJ & Braun D (2007) Extreme accumulation of nucleotides in simulated hydrothermal pore systems. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 104, 9346-9351.
Binder H (2012) Wurde die RNA-Welt am Grunde des Ozeans etabliert? Stud. Int. J. 19, 61-62.
Imming P (2015) Schritte ungeplanter, ungelenkter Entstehung von DNA und RNA? Stud. Int. J. 22, 42-45.
Niether D, Afanasenkau D, Dhont JKG & Wiegand S (2016) Accumulation of formamide in hydrothermal pores form prebiotic nucleobases. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 113, 4272-4277.
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Beitrag von Eaglesword Di 14 Jun 2016, 20:19

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13.06.16 
Stasis: Wie viel Stillstand verträgt die Evolutionstheorie?

Stasis – evolutionärer Stillstand – wird „klassisch“ erklärt durch stabile Umweltbedingungen und daraus resultierend gleichbleibende Selektionsdrücke. Es gibt jedoch systematische Befunde, die dem widersprechen: Markante Umweltänderungen führen regelmäßig nicht zu nennenswerten evolutiven Veränderungen. Das ist einer von vielen Fällen dafür, dass die Beobachtungsdaten evolutionstheoretischen Erwartungen widersprechen.
Von Paläontologen vielfach beschrieben wird die Beobachtung, dass bestimmte fossil überlieferte Arten über einen längeren Zeitraum bzw. in einer umfangreichen Abfolge von Sedimenten im Wesentlichen unverändert bleiben. Wenn solche Arten heute noch leben, nennt man sie „lebende Fossilien“. Dieses Phänomen wird als evolutionäre „Stasis“ (Stillstand) bezeichnet. Manchmal werden solche Befunde als Argumente gegen Evolution gewertet. Allerdings gibt es auch unter Annahme einer evolutiven Entstehung der Arten keinen „Evolutionszwang“; daher steht Stasis nicht notwendigerweise im Widerspruch zu einer Evolutionsgeschichte der Lebewesen.
Stasis kann dennoch zum Problem für die Theorie von einer allgemeinen Evolution werden, wenn sie 1. vorherrschend ist und 2. auch dann beobachtet wird, wenn es massive Umweltänderungen gegeben haben muss. Denn üblicherweise wird Stasis damit erklärt, dass die betreffenden Arten in konstanten Umwelten leben bzw. gelebt haben, folglich ohne nennenswerten Wechsel von Selektionsbedingungen, und es daher keinen Druck zur Veränderung gegeben hat. Unter stark wechselnden Umweltbedingungen wird evolutionär dagegen eher ein Formenwandel erwartet.
Von einem ausgesprochen hartnäckigen Fall von Stasis berichtet der Paläontologe Donald R. Prothero auf dem Blog skeptic.com (Prothero 2012; dort finden sich Angaben zu Fachartikeln). Er schreibt (in teilweise freier Übersetzung): „Bei vier der größten Veränderungen von Klima und Vegetation der letzten 50 Millionen Jahre zeigen die Säugetiere und Vögel keine beobachtbare Veränderung als Antwort auf das veränderte Klima. Wo immer ich diese Daten vorstelle, hat bisher niemand (ich eingeschlossen) eine gute Erklärung für eine solche verbreitete Stasis trotz der offensichtlichen Selektionsdrücke durch verändertes Klima.“1
Das letzte Beispiel von den vieren, die Prothero anführt, sind die letzten 2 Millionen (radiometrischen) Jahre der Eiszeit mit dramatischen Klimaänderungen, die jedoch nicht zu Artbildungen führten, sondern zu Wanderungen der betroffenen Tiere in andere Gegenden. Eine detaillierte Analyse der fossilen Fauna von La Brea bei Los Angeles ergab: „Keines der allgemein vorkommenden eiszeitlichen Säugetiere und Vögel reagierte auf irgendwelche Klimaänderungen bei La Brea während der letzten 35 000 Jahre.“
Das sind eindrucksvolle Bestätigungen für die Aussagen des 1972 veröffentlichten Klassikers von Niles Eldredge und Stephen Jay Gould über die Hypothese des „unterbrochenen Gleichgewichts“ („punctuated equilibrium“; auch als Punktualismus bekannt). Prothero schrieb seinen Beitrag anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Veröffentlichung dieses Artikels. Gould & Eldredge (1977) machten fünf Jahre nach der Veröffentlichung ihres bahnbrechenden Artikels eine erste Bestandsaufnahme und kamen – in den Worten von Prothero – zu folgendem Ergebnis: „Die erste große Entdeckung war, dass Stasis weitaus vorherrschender im Fossilbericht war als es zuvor vorausgesagt worden war. Viele Paläontologen meldeten sich und zeigten auf, dass die geologische Literatur ein einziges gewaltiges Monument der Stasis sei, und es nur relativ wenige Fälle gebe, in denen jemand eine graduelle Evolution beobachtet hätte“ (Hervorhebung nicht im Original).
Gould & Eldredge (1993) nahmen auch das 20-jährige Jubiläum ihres Artikels von 1972 zum Anlass für eine weitere Bilanz und resümieren: „Weil Arten während so intensiver klimatischer Änderungen wie eiszeitlichen Abkühlungen oft stabil bleiben, muss Stasis als aktives Phänomen betrachtet werden, nicht als eine passive Antwort auf unveränderte Umwelten.“3 Das ist das Gegenteil von dem, was mit dem Konzept der Stasis ursprünglich verknüpft wurde.
Für Prothero ist dieser komplett unerwartete, weit verbreitete Befund übrigens kein Grund zur Irritation. Es sei gut, wenn wir statt Antworten mehr Fragen hätten. Wissenschaft komme voran, wenn wir bisher unbekannte Dinge entdecken und merken, dass unsere bisherigen einfachen Antworten nicht funktionieren. Soweit Prothero. Aber es besteht auch die Möglichkeit, dass eine falsche Spur verfolgt wird. Hat der systematische Befund der Stasis den Grund darin, dass der Evolvierbarkeit Grenzen gesetzt sind und außerdem eine Fehleinschätzung der real verflossenen Zeit vorliegt?
Quellen
Prothero DR (2012) Darwin壮 Legacy. http://www.skeptic.com/eskeptic/12-02-15/#feature
ldredge N & Gould SJ (1972) Punctuated equilibria: an alternative to phyletic gradualism. In: Schopf T (ed) Models in paleobiology. Freeman, Cooper and Co., San Francisco, pp 82-115.
Gould SJ & Eldredge N (1977) Punctuated equilibria: the tempo and mode of evolution reconsidered. Paleobiology 3, 115-151.
Gould SJ & Eldredge N (1993) Punctuated equilibrium comes of age. Nature 366, 223-227.
Originalzitate
1 „In four of the biggest climatic-vegetational events of the last 50 million years, the mammals and birds show no noticeable change in response to changing climates. No matter how many presentations I give where I show these data, no one (including myself) has a good explanation yet for such widespread stasis despite the obvious selective pressures of changing climate.“
2 „The first major discovery was that stasis was much more prevalent in the fossil record than had been previously supposed. Many paleontologists came forward and pointed out that the geological literature was one vast monument to stasis, with relatively few cases where anyone had observed gradual evolution.“
3 „Moreover, because species often maintain stability through such intense climatic change as glacial cooling, stasis must be viewed as an active phenomenon, not a passive response to unaltered environments.“


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Beitrag von Eaglesword Mi 22 Jun 2016, 21:18

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21.06.16  Birkenspanner, Melanismus und springende Gene
Durch Analyse des Erbguts des berühmten Birkenspanners (Biston betularia) und den Vergleich mit dem Genom des Seidenspinners (Bombyx mori) kann das Lehrbuchbeispiel des Melanismus besser verstanden werden. Die dunklen und hellen Erscheinungsformen des Spanners werden durch sogenannte „springende Gene“ verursacht. Die Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich die genetische Veränderung erst kurz vor dem auffällig häufigen Vorkommen der dunklen Varianten ereignet hat.
Der Birkenspanner (Biston betularia) ist ein häufig verwendetes Lehrbuchbeispiel dafür, wie aufgrund von Umweltbedingungen unterschiedliche Erscheinungsformen von Lebewesen (Morphen oder Phänotypen) selektiert werden können. Die hellen und dunklen Morphen von B. betularia können z.B. von Fressfeinden auf hellem bzw. dunklem Untergrund unterschiedlich gut wahrgenommen und erbeutet werden. Obwohl der Einfluss und die Reichweite von Selektionsfaktoren bis in die Gegenwart kontrovers diskutiert werden, ist hinreichend belegt, dass Vögel als Fressfeinde die Häufigkeitsverteilung der Birkenspanner in Abhängigkeit des entsprechenden Untergrundes beeinflussen.  
Die genetischen Grundlagen für das Auftreten verschiedener Phänotypen von B. betularia sind bisher  allerdings erst in Ansätzen bekannt. Van´t Hof et al. (2011) konnten den Ort der genetischen Ursache für das Auftreten der dunklen Morphe durch einen Vergleich mit dem Seidenspinner (Bombyx  mori) anhand von genetischen Markern auf dem Chromosom 17 auf einen Bereich von 200 Kilobasen (kb) eingrenzen. Die Autoren interpretierten die empirischen Befunde als Beleg dafür, dass  ein Allel (Genvariante), das vor nicht langer Zeit („recent“) erstmals aufgetreten ist, für die dunklen Birkenspanner verantwortlich ist. Sie konnten damals zwar die Korrelation des Bereichs im Genom mit der farblichen Veränderung belegen, aber es war kein genetischer  Zusammenhang mit der Melaninproduktion, also der Erzeugung des dunklen Pigments, erkennbar.
In einer neuen Untersuchung (Van´t Hof et al. 2016) konnte nun nachgewiesen werden, dass die dunklen B. betularia-Formen durch ein springendes Gen (Transposon) verursacht werden. In diesem Fall haben die Autoren ein Transposon der Klasse II identifiziert, also einen mobilen DNA-Abschnitt, der seine Position im Genom selbständig verändern kann. In der Arbeit wird gezeigt, dass dieses Transposon sich in dem zuvor beschriebenen Bereich des Chromosoms 17 in das erste Intron eines Gens mit der Bezeichnung cortex integriert. Das Transposon umfasst einen DNA-Strang mit 22 kb, der sich in einen Abschnitt des cortex-Gens einbaut, der vor der Übersetzung (Translation) in das entsprechende Protein herausgeschnitten wird. Vom Protein Cortex ist aber nicht bekannt, dass es in irgendeinem Zusammenhang mit der Biosynthese des dunklen Pigments Melanin steht. Das cortex-Gen wird in bestimmten Larvenstadien in den embryonalen Flügelanlagen stark ausgeprägt (exprimiert). Das entsprechende Protein Cortex reguliert den Zellzyklus während der Entwicklung der Flügel in der Larve. Die genauen Details, wie diese Regulation die Pigmentierung beeinflusst, sind bisher jedoch nur wenig verstanden und werden weiter erforscht. In einem gleichzeitig erschienenen Artikel bestätigen Nadeau et al. (2016) jedoch, dass cortex in Schmetterlingen die Musterung der Flügel kontrolliert.
Aufgrund statistischer Untersuchungen von cortex in Birkenspannern kommen Van´t Hof et al. (2016) zu dem Schluss, dass der Zeitpunkt, an dem das springende Gen sich an der neuen Position integriert hat, um das Jahr 1819 liegen soll. Sollte sich das bestätigen, dann hätte sich diese genetische Veränderung sehr rasch in der Population der Birkenspanner in der Gegend von Birmingham bemerkbar gemacht, denn Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die dunklen Morphen dort beobachtet und  beschrieben.
Wenn sich die hier vorgestellten Untersuchungsergebnisse und deren Interpretation durch weitere Forschung bestätigen sollten, dann würde dieser Fall von Industriemelanismus zeigen, dass die verschiedenen Erscheinungsformen des Birkenspanners quasi vorprogrammiert sind und sich in einer Population rasch etablieren können.    
Literatur
Van´t Hof AE, Edmonds N, Dalikova M, Marec F & Saccheri IJ (2011) Peppered moths has a singular and recent mutational origin. Science 332, 958-960.
Van´t Hof AE, Campagne P et al. (2016) The industrial melanism mutation in British peppered moths is a transposable element. Nature 534, 102-105.
Nadeau NJ, Pardo-Diaz C et al. (2016) The gene cortex controls mimicry and crypsis in butterfly and moths. Nature 534, 106-110.


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Beitrag von Eaglesword Mo 25 Jul 2016, 21:55

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04.07.16  Amphibische Fische: Mindestens 33-mal unabhängig entstanden
Eine detaillierte Untersuchung über das Vorkommen von Fischen, die zeitweise auch an Land gehen, zeigt, dass diese Fähigkeit mindestens 33-mal unabhängig entstanden sein muss. Aus evolutionstheoretischer Sicht war ein solcher Befund nicht erwartet worden. Die Erklärung, dass der Erwerb dieser Fähigkeit gar nicht so schwierig sei, beruht auf einem Zirkelschluss.
Bei Amphibien, also Tieren, die teils an Land und teils im Wasser leben, denkt man an Frösche, Kröten, Unken oder Salamander. Dass auch unter Fischen amphibisch lebende Arten vertreten sind, ist weniger bekannt; doch es gibt eine ganze Menge davon. Manche von ihnen verbringen nur einige Sekunden oder Minuten an Land, andere dagegen Stunden oder sogar Tage. Besonders bekannt unter Letzteren sind die Schlammspringer (Gattung Periophthalmus), die mehr Zeit an Land als im Wasser verbringen und dafür eine Reihe spezieller Bauplanbesonderheiten besitzen, oder die Aale, die längere Wanderungen auf Land durchführen können und dabei über die Haut atmen.
Wegen der besonderen Anforderungen für ein zeitweiliges Leben an Land könnte man denken, dass amphibische Fische auf evolutivem Wege eher selten entstanden sind; das bringt auch Terry Ord, der mit Georgina Cooke jüngst eine Studie über deren Vorkommen durchgeführt hat, explizit zum Ausdruck („Because of the challenges fish face in being able to breathe and move and reproduce on land, it had been thought this was a rare occurrence“, http://phys.org/news/2016-06-fish-common-thought.html). Doch schon Coates & Clack (1995, 301) erwähnen, dass unter den Strahlflosser-Fischen, die nicht eine Verbindung zum Landgang der Vierbeiner gebracht werden, 59 amphibisch lebende Arten aus 16 marinen (=im Meer lebenden) und limnischen (=in Süßwasserbereich vorkommenden) Familien bekannt seien, von denen keine tetrapodenartige (=vierbeinerartige) Beine entwickelt hat.
In einer jüngst veröffentlichten detaillierten phylogenetischen Studie wiesen Ord & Cooke (2016) insgesamt sogar 130 amphibisch lebende Fischarten nach. Diese sind auf 33 Familien verteilt, und die Autoren interpretieren diesen Befund so, dass damit auch die Mindestanzahl einer unabhängigen (konvergenten) Entstehung amphibischer Fische bei 33 liegt. Vermutlich ist diese Zahl noch deutlich höher, denn alleine bei der genauer untersuchten Familie der Blenniidae schließen die Autoren auf eine siebenmalige konvergente Entstehung eines „in hohem Maße amphibischen Lebensstils“. Die Fisch-Familien, bei denen es amphibische Arten gibt, sind ökologisch z. T. sehr unterschiedlich und kommen sowohl in Süß- als auch Salzwasser vor.
Aus diesem unerwarteten Befund schließen die Autoren, dass die evolutive Entstehung der amphibischen Lebensweise nicht so schwer sein könne wie bisher angenommen, da sie sich so häufig ereignet habe. Diese Schlussfolgerung ist unlogisch. Denn die Häufigkeit des Vorkommens dieser Lebensweise hat mit der Frage, wie schwierig die dafür nötigen Voraussetzungen zu erfüllen sind, nichts zu tun. Schließlich war es beispielsweise auch nicht deshalb leichter als gedacht, eine Mondrakete zu bauen, weil das sowohl Russen als auch Amerikaner unabhängig geschafft haben. Vielmehr handelt es sich hier um einen evolutionären Zirkelschluss; er funktioniert wie folgt: 1. Eigentlich ist es für einen Fisch schwierig, evolutiv eine amphibische Lebensweise zu entwickeln. 2. Daher ist zu erwarten, dass das nicht oft vorkommt. 3. Es kommt aber oft vor, daher kann es doch nicht so schwierig sein. Diese Logik funktioniert natürlich nur, wenn man Evolution schon voraussetzt. In Wirklichkeit ist der Befund des häufigen Vorkommens der amphibischen Lebensweise jedoch eine schwerwiegende Herausforderung für evolutionsbiologische Hypothesen, da auf der Basis zukunftsblinder Mechanismen ein vielfacher Übergang zu anspruchsvollen ähnlichen Fähigkeiten nicht zu erwarten ist.
Interessant sind die Ergebnisse von Ord & Cooke auch in einer weiteren Hinsicht. Die zahlreichen amphibischen Fischarten sind keine Vorstufen zu landlebenden Formen. Die amphibische Lebensweise von Fischen scheint also keinen Startvorteil für einen Übergang an ein dauerhaftes Landleben darzustellen, wie es bei den Landwirbeltieren verwirklich ist. Auf dieses Paradox weist auch Clack (2002, 103) in ihrer Monographie zum Ursprung der Landwirbeltiere hin: Es gibt Strahlflosser mit Anpassungen ans Landleben und solche, die fingerartige Strukturen von Flossenstrahlen ausgebildet haben. Diese zwei Gruppen überlappen sich nahezu nicht. Fische mit Fingern sollen – auch aus evolutionärer Sicht – nicht dauerhaft an Land gegangen sein, und solche, die es im evolutionären Verlauf geschafft haben sollen, zweitweise auf Land zu überleben, haben keine fingerartigen Strukturen an ihren Extremitäten.
Literatur
Clack JA (2002) Gaining Ground. The origin and evolution of Tetrapods. Bloomington and Indianapolis.
Coates MI & Clack JA (1995) Romer’s gap: tetrapod origins and terrestriality. In: Arsenault M, Lelièvre H & Janvier P (eds) Studies on early vertebrates (VIIth International Symposium, Miguasha Parc, Quebec). Paris: Bull. Mus. Natl. Hist. Nat. 17, 373-388.
Ord JJ & Cooke GM (2016) Repeated evolution of amphibious behavior in fish and its implications for the colonization of novel environments. Evolution, early view, DOI: 10.1111/evo.12971.


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Beitrag von Eaglesword Do 10 Nov 2016, 20:09

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10.10.16 Von Fischen zu Vierbeinern? Neues von Acanthostega
Ein Fisch mit Fingern – Acanthostega, mutmaßliches Bindeglied zwischen Fischen und Vierbeinern – wurde neu untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass fast alle Funde von noch nicht ausgewachsenen Tieren stammen. Es bliebt dabei: Acanthostega war allem Anschein nach ausschließlich wasserlebend und passt nicht gut als Übergangsform.
Der sogenannte „Spitzpanzer“ – Acanthostega – aus dem Oberdevon spielt eine prominente Rolle in evolutionären Hypothesen zur Entstehung der Tetrapoden (Vierbeiner) ausgehend von Fischen. Denn er lebte zwar wie Fische ausschließlich im Wasser, besaß aber Finger und damit ein typisches Vierbeiner-Merkmal.
Eine detaillierte Neu-Untersuchung von 200 fossilen Acanthostega-Knochen und 14 Schädel-Fossilien dieser Gattung zeigte nun, dass es sich dabei fast ausnahmslos um Jungtiere handelt (Sanchez et al. 2016; vgl. Fröbisch 2016). Das macht die Beurteilung der Lebensweise der ausgewachsenen Formen schwieriger als sie ohnehin schon war. Die neuen Befunde sprechen dafür, dass die Tiere im Jugendstadium nicht in der Lage waren, an Land zu kriechen. Die Funde stammen von mindestens 20 Individuen und befinden sich alle von einem kleinen Areal der Britta-Dal-Formation des Oberdevons Ostgrönlands; Sanchez et al. (2916) vermuten, dass sie gemeinsam bei einer Dürre nach einer Schichtflut verendet sind.
Anders als in populärwissenschaftlichen Darstellungen behauptet, ist das aber keine neue Erkenntnis. Denn schon bisher deuteten viele anatomische Merkmale darauf hin, dass Acanthostega ausschließlich wasserlebend war – trotz des Besitzes von acht Fingern, eine ungewöhnliche Merkmalskombination (vgl. zusammenfassende Darstellung bei Junker 2004). Gründe dafür waren u. a.: Die Bezahnung gleicht insgesamt zeitgenössischen Fleischflosser-Fischen und keinem Tetrapoden, der Schädel ist mit dem Schultergürtel relativ fest verbunden, Acanthostega ähnelt im Kiemenskelett kiemenatmenden Lungenfischen, die Wirbelsäule ist von vorne bis hinten auffallend gleichförmig, ähnlich wie bei Fischen wie dem Quastenflosser Eusthenopteron, eine Verbindung Becken-Wirbelsäule bestand vermutlich nur durch Bänder; die Hüfte konnte dadurch kaum das Körpergewicht tragen; insgesamt wirken die Extremitäten eher als Paddel denn als Füße (Clack 2002, 122-127; vgl. Zusammenfassung bei Junker 2004). Clack (2002, 124) stellt als Gesamteindruck fest: Fast alle Merkmale von Acanthostega legen ein ausschließliches Wasserleben nahe. Die relativ starren Extremitäten waren vermutlich gut geeignet, um mit kräftigen Paddelstößen plötzlich aus der Ufervegetation Beute zu erhaschen. Vermutlich lebte Acanthostega in vegetationsreichen Uferzonen, in denen eine tetrapodenartige Extremität passend war. Wie alle anderen oberdevonischen Tetrapoden ist auch Acanthostega ausschließlich zusammen mit Fischen fossil überliefert (Clack 2002, 110).
Dass es sich um Jungtiere handelt, schließen die Forscher daraus, dass das Oberarmskelett der Tiere noch nicht verknöchert war. Außerdem zeigte eine Untersuchung der inneren Feinstruktur der Knochen mit einem Röntgensynchrotron, dass die Tiere zwar schon sechs Jahre und älter waren, ihre Beinknochen aber noch keine Anzeichen für eine Verlangsamung des Wachstums zeigten – ebenfalls ein Hinweis darauf, dass die Tiere noch nicht ausgewachsen waren. Ein knorpeliger Oberarmknochen wäre für die Bewegung an Land ungeeignet gewesen. Sanchez et al. (2016) stellten weiter fest, dass es zwei Größenklassen gab, möglicherweise bedingt durch Entwicklungs-Plastizität (d. h. unterschiedliche Ausprägungen werden durch verschiedene Umweltreize ausgelöst).
Dass Acanthostega wasserlebend war, ist also nicht das Überraschende, wohl aber, dass es sich bei den (nur) in Grönland gefundenen Fossilien um Jungtiere handelt. Damit ist unklar, wie die erwachsenen Tiere ausgesehen haben, welche Rolle sie bei der Entstehung der Vierbeiner gespielt haben könnten und ob sie vielleicht doch auch an Land leben konnten. Die neuen Befunde stellen bisherige Hypothesen in Frage, wonach vermutet worden war, dass die Larven der ersten Tetrapoden die ersten Landgänger waren. Dazu waren die Acanthostega-Jungtiere jedenfalls kaum in der Lage.
Zur Frage nach der Evolution der Vierbeiner steuern die neuen Befunde nichts Wesentliches bei, das nicht schon bekannt war. Es bleibt dabei, dass einzelne Merkmale markant verändert im Vergleich zu potentiellen Vorläufern auftauchen (z. B. im Bereich des Hirnschädels oder der Besitz von Fingern). Das Handgelenk von Acanthostega war späteren Tetrapoden sehr unähnlich (Clack 2002, 137). Neben Merkmalen, in denen Acanthostega abgeleiteter ist als das berühmte Ichthyostega (Carroll 1992, 60), gibt es auch Eigenschaften, bei denen das Umgekehrte zutrifft. Die Wangen und das Schädeldach sind bei Acanthostega und Ichthyostega fest verbunden, im Gegensatz sowohl zu den möglichen Fisch-Vorfahren als auch zu anderen frühen Tetrapoden (Carroll 1992, 60). Das heißt, evolutionär gesehen wäre hier ein Zickzackkurs gefahren worden. Carroll (1992, 60) bemerkt: Verschiedene Spezialisierungen schließen die Möglichkeit einer direkten Vorfahrenschaft für spätere Tetrapoden aus.
Interessant ist auch die Einschätzung von Sanchez zur Bedeutung der neuen Erkenntnisse: „Unsere Studie gibt uns nur einen allerersten Einblick in die Lebensweise eines frühen Tetrapoden. … Wir wollen nun auch die Lebensgeschichte anderer früher Vierbeiner untersuchen. Möglicherweise stoßen wir dabei auf Erkenntnisse, die unser Lehrbuchwissen völlig verändern“ (http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-20592-2016-09-08.html).
Literatur
Carroll RL (1992) The primary radiation of terrestrial vertebrates. Annu. Rev. Earth Planet. Sci. 20, 45-84.
Clack JA (2002) Gaining ground. The origin and evolution of Tetrapods. Bloomington and Indianapolis: Indiana University Press.
Fröbisch NB (2016) Evolution: Teenage tetrapods. Nature 537, 311-312.
Junker R (2004) Vom Fisch zum Vierbeiner – eine neue Sicht zu einem berühmten Übergang. Teil 2: Ichthyostega, Acanthostega und andere Tetrapoden des höheren Oberdevons. Stud. Integr J. 11, 59-66.
Sanchez S, Tafforeau P, Clack JA & Ahlberg PE (2016) Life history of the stem tetrapod Acanthostega revealed by synchrotron microtomography. Nature 537, 408-411.


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Beitrag von Eaglesword Fr 09 Dez 2016, 05:58

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07.12.16 
Kurzflügler als „Ameisenkäfer“ – eine erstaunliche Konvergenz

Mindestens 12 mal unabhängig ist eine ausgefeilte Strategie mancher Kurzflügler-Käfer entstanden. Diese Käfer sehen aus wie Ameisen und riechen und verhalten sich wie Ameisen, um unerkannt in Nestern von Wanderameisen auf Beutezug gehen zu können. Da „Design“ als Erklärungsform aufgrund weltanschaulicher Vorentscheidungen ausgeschlossen wird, gerät man bei evolutionären Erklärungsversuchen in Zirkelschlüsse.
Ist es eine Überraschung, dass Merkmale oder Fähigkeiten von Lebewesen mehrfach unabhängig – konvergent – entstehen? Aus einer Designer-Perspektive ist ein zahlreiches Auftreten von Konvergenzen durchaus zu erwarten. Denn ein Designer kann planen, die Zukunft gedanklich vorwegnehmen und entsprechende Schritte einleiten, um ein Ziel zu erreichen. Es ist nicht überraschend, wenn er sich dabei öfter ähnlicher Mittel bedient. Natürliche Selektion kann das alles nicht, denn sie ist genauso zukunftsblind wie die Mutationen, die ihr das Rohmaterial liefern. Daher haben Evolutionstheoretiker, für die das Wechselspiel von Mutation und Selektion der hauptsächliche Motor des Artenwandels ist, allen Grund sich zu wundern, wenn Konvergenzen auftreten, besonders wenn es sich um Komplexmerkmale handelt und wenn sie sich häufen. Und sie wundern sich ja tatsächlich häufig. Denn wenn man zweimal oder gar mehrfach denselben Punkt erreicht, ohne ihn je angesteuert zu haben, stellt sich die Frage, ob es doch eine unerkannte Strategie oder Steuerung gibt. Evolutionstheoretiker verweisen hierzu bei Konvergenzen auf gleiche Selektionsdrücke, Präadaptionen (Voranpassungen) oder auf konstruktive Zwänge. Damit ist gemeint, dass evolutive Veränderungen immer an den bereits vorhandenen Konstruktionen ansetzen müssen und daher nur umbauen können. Die Vorkonstruktionen erlauben „Umbauten“ nur in bestimmte Richtungen – setzen also Konstruktionszwänge.
Alle drei Faktoren – Selektionsdrücke, Präadaptionen  und Konstruktionszwänge – können aber nicht als Ursachen für Veränderungen gelten, sondern nur als Begleiterscheinungen. In vielen Fällen ist nicht einmal klar, warum sie als Rahmenbedingungen eine kanalisierende Wirkung haben sollen. Das trifft insbesondere bei Verhaltenskonvergenzen zu. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel einer Konvergenz eines ausgefallenen Verhaltens untersuchten Maruyama & Parker (2016) bei parasitisch lebenden kleinen Käfern (vgl. die Zusammenfassung bei Pennisi 2016). Mindestens 12 mal unabhängig sollen Kurzflügler-Käfer aus der Unterfamilie der Aleocharinae die Fähigkeit erworben haben, in Nester von Wanderameisen eindringen und dort auf Beutezug gehen zu können; dabei vergreifen sie sich auch der Brut der Ameisen. Das hört sich auf den ersten Blick vielleicht einfacher an als es ist. Doch um gegen Wanderameisen ankommen zu können, muss man sich einiges einfallen lassen. Nicht umsonst werden diese Ameisen auch als Heeresameisen bezeichnet (engl. „army ants“). Denn sie sind darauf spezialisiert, in ganzen Gruppen auszuschwärmen und auch Eindringlinge zu attackieren.
Um hier überhaupt eine Chance zu haben, in die Nester zu gelangen und dort eine Zeitlang zu verbleiben, müssen ungebetene Besucher sich tarnen können. Den Kurzflüglern gelingt dies dadurch, dass sie den „Käfer-Look“ gegen ein ameisenartiges Aussehen getauscht haben: Sie besitzen eine verengte Taille, verlängerte Beine, Antennen mit ameisenartigen Ellenbogengelenken und andere Besonderheiten im Körperbau. Aber das genügt nicht: Die flohgroßen Käfer müssen auch durch ihr Verhalten – z. B. einen ameisenartigen Gang – und durch ihren Geruch vortäuschen, dass sie Artgenossen der Ameisen seien. Damit gelingt es ihnen, ungestört ihre Raubzüge in den Ameisennestern durchzuführen. Als Präadaption dafür betrachten die Forscher den Besitz einer Drüse am Ende des Hinterleibs, durch die unangenehm riechende Stoffe gegen Angreifer abgegeben werden können. Doch einige der parasitisch lebenden Käfer besitzen neue Drüsen und neue Funktionen, was so wenig wie die veränderte Morphologie und das veränderte Verhalten als Folge einer Präadaption gewertet werden kann.
In jahrelanger mühevoller Forschungsarbeit gelang es Maruyama & Parker (2016), eine größere Anzahl verschiedener Arten dieser sozialparasitisch leben Käfer und ihrer nichtparasitischen Verwandten zu sammeln und genetisch zu untersuchen. Dabei fanden sie das höchst erstaunliche Ergebnis, dass die „Ameisenkäfer“-Arten so unsystematisch vorkommen, dass ihr Aussehen und Verhalten mindestens 12 mal unabhängig entstanden sein muss, wahrscheinlich noch sehr viel öfter. Dabei ist jede unabhängige „Ameisenkäfer“-Linie auf eine bestimmte geographische Region beschränkt und auf eine bestimmte Wanderameisen-Art spezialisiert.
Man könnte nun annehmen, dass der gemeinsame Vorfahr vor noch nicht allzu langer Zeit gelebt hat und dass aufgrund der noch nahen genetischen Verwandtschaft ein gemeinsames Potential zum „Ameisen-Look“ in diesem Vorfahren vorhanden war und in verschiedenen Linien abgerufen werden konnte. Doch die genetischen Daten weisen unter evolutionstheoretischen Voraussetzungen darauf hin, dass der gemeinsame Vorfahr bereits vor 105 Millionen Jahren gelebt hat. Außerdem habe sich das außergewöhnliche Aussehen und Verhalten der Käfer erst sehr spät – Dutzende von Millionen Jahren nach der Aufspaltung in die verschiedenen Linien – entwickelt – und wurde somit nicht auf der Basis eines gemeinsamen genetischen Potentials abgerufen. Evolutionstheoretisch muss man daher annehmen, dass die Nachahmung im Bau und Verhalten nicht nur jeweils unabhängig ausgeprägt wurde, sondern im Wesentlichen vielfach unabhängig ganz neu entstand.
Dass dieser Befund sehr unerwartet ist, geht aus den Worten von Pennisi (2016) hervor (in Übersetzung): „Man mag denken, dass die Anpassungen dieser Kurzflügler, wie sie nun bekannt sind, eine unwahrscheinliche Meisterleistung der Evolution bedeuten, die niemals wiederholt wurde. Doch damit würde man falsch liegen, …“ (Hervorhebung nicht im Original). Die Überraschung ist verständlich, da Evolution wie erwähnt ein zukunftsblinder Prozess ist. Daher kann man festhalten: Das Auftreten komplexer Konvergenzen widerspricht einer Entstehung auf natürlich-evolutivem Wege.
Doch Maruyama & Parker (2016) drehen den Spieß um: Aus der vielfachen Konvergenz folgern sie kurzerhand, es gebe in der Kurzflügler-Linie der Aleocharinae eine inhärente Fähigkeit zum Erwerb des ameisenartigen Körperbaus und Verhaltens. Daten zum Beleg dafür legen sie allerdings nicht vor, vielmehr ist die stillschweigende Voraussetzung von Evolution leitend für ihre Argumentation. Denn nur wenn man Evolution voraussetzt, kann man die Konvergenzen nachträglich als „vorhersehbar“ behaupten. Doch wären diese Konvergenzen keinesfalls vorhergesagt worden, wenn man sie nicht kennen würde! Die Vorhersage war eine andere: Wenn überhaupt kann sich ein solches System nur einmal evolutiv herausbilden (s. o. g. Zitat von Pennisi).
Dass hier (wie allgemein auch sonst) nur einer von zwei grundsätzlich möglichen Deutungsansätzen verfolgt wird – nämlich der naturalistische – wird auch durch Äußerungen zweier Wissenschaftler unterstrichen, die Pennisi am Schluss der Zusammenfassung zitiert. Diese Forscher legen – ohne weitere Begründung – das kreative Potential, das sich in der Flexibilität der Gestalt und des Verhaltens der Käfer zeigt, in die Evolution: Es zeige sich die „Virtuosität der Evolution“ einmal mehr (Eldredge) und „man spürt, wie einem die Kraft der Evolution – der natürlichen Selektion – in deine Augen starrt“ (Kronauer). Selektion ist zwar ein Thema der Arbeit von Maruyama & Parker (2016), aber ohne dass auch nur ansatzweise erklärt wird, wie Selektion im Einzelnen zur Herausbildung der Ameisenkäfer beigetragen haben soll. Die Charakterisierungen von Eldredge und Kronauer sind Glaubensbekenntnisse über die Kraft natürliche Prozesse, für die es keine empirischen Belege gibt. Die vorliegenden Indizien passen dagegen viel besser zu einem Design-Ansatz. Wenn dieser jedoch von vornherein als Erklärungsform ausgeschlossen wird, gerät man bei den Erklärungsversuchen in Zirkelschlüsse und ist damit nicht ergebnisoffen unterwegs auf der Suche nach der plausibelsten Antwort.
Quellen
Maruyama M & Parker J (2016) Deep-time parallel evolution of myrmecoid syndrome in rove beetle symbionts of army ants. bioRxiv preprint first posted online Sep. 20, 2016; doi: http://dx.doi.org/10.1101/076315.
Pennisi E (2016) A new evolutionary classic. Science 354, 813.


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Zuletzt von Eaglesword am Di 13 Dez 2016, 20:10 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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