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wissenschaftliche Hintergründe zum Ursprung des Lebens
Zurück zu den Wurzeln - Haus IsraEL :: Wissenschaft :: Forschung und Schöpfung :: Fossilien, Bibel und unsere Zeit
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Re: wissenschaftliche Hintergründe zum Ursprung des Lebens
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25.11.13 Sind Blütenpflanzen 100 Millionen Jahre älter als bisher angenommen?
Gastbeitrag von Herfried Kutzelnigg
„Blütenpflanzen sind 100 Millionen Jahre älter als bisher angenommen“ – so oder ähnlich lauten verschiedene Pressemitteilungen über Funde von 240 Millionen Jahre altem Pollen, den Peter A. Hochuli (Universität Zürich) und Susanne Feist-Burkhardt (Ober-Ramstadt) in Bohrkernen der Nordschweiz gefunden haben. Die sehr bemerkenswerten Ergebnisse wurden vor kurzem in der Zeitschrift „Frontiers in Plant Science“ vorgestellt (Hochuli & Feist-Burkhardt 2013). Sie sind gut dokumentiert, und ihre mögliche Bedeutung für die Abstammung der Bedecktsamigen Blütenpflanzen wird sorgfältig diskutiert. Der immense zeitliche Unterschied zwischen der fossilen Überlieferung von Pollen und dazu gehörenden Makrofossilien legt nahe, dass es in erheblichem Umfang geologisch nicht überlieferte Lebensräume gibt.
Hintergrund: Bedecktsamige Blütenpflanzen (Angiospermen) sind im Fossilbericht erst seit der unteren Kreide nachgewiesen, also seit ca. 140 Millionen rJ (= Jahren gemäß radiometrischer Datierung). Dabei stellen Pollenkörner die ältesten fossilen Angiospermen-Reste dar. Das lässt sich leicht dadurch erklären, dass Pollen sehr umweltbeständig ist, in großer Menge produziert wird, und leicht an Standorte gelangen kann, wo die Pflanzen selber nicht wachsen. Die bislang ältesten Angiospermen-Pollenkörner sind aber nur ca. 5 Mio. rJ älter als die ältesten Angiospermen-Makrofossilien. (Makrofossilien sind Überreste kompletter Pflanzen bzw. Pflanzenteile wie Blätter, Stängel oder Wurzeln.) Der zeitliche Versatz ist also relativ gering, ganz anders als bei den jüngst beschriebenen Funden (s. u.).
Während verschiedene Gruppen von Nacktsamigen Blütenpflanzen (Gymnospermen) schon viel länger fossil bekannt sind (z. T. schon seit dem Karbon), tauchen die Bedecktsamer – wie gesagt – fossil erstmals in der Unterkreide auf. Dort aber treten sie ziemlich von Beginn ihrer Überlieferung in großer Formenfülle auf. Gleichzeitig fehlt ein überzeugender morphologischer Anschluss an irgendeine andere Pflanzengruppe. Schon Darwin hatte erkannt, dass dieses unvermittelte Auftreten der Angiospermen, immerhin die artenreichste Pflanzengruppe überhaupt, ein großes Problem für seine Abstammungslehre bedeuten würde. Er nannte das ein „abomenable mistery“, also ein „abscheuliches Geheimnis“. Bis heute ist man trotz intensiven Bemühens der Lösung des Problems nicht wirklich nähergekommen. Man vergleiche dazu etwa den Übersichtsartikel in Studium Integrale Journal (Kutzelnigg 2000, 2001), den Kurzbeitrag in genesisnet.info im Darwinjahr 2009 (Das "abscheuliche Geheimnis" im Darwinjahr) oder Abschnitt VI.14.10 der soeben erschienenen Neuauflage von „Evolution – Ein kritisches Lehrbuch“ (www.wort-und-wissen.de/lehrbuch.html). Interessanterweise wird der Begriff „abomenable mistery“ noch heute gerne von Evolutionsvertretern benutzt.
Natürlich hat man intensiv nach Angiospermen-Resten in älteren geologischen Systemen als der Kreide gesucht, vor allem im Jura als dem nächst älteren. Es gab auch entsprechenden Meldungen, aber sie konnten allesamt nicht bestätigt werden.
Da man keine Fossilien fand, bekam eine auf Axelrod (1952) zurückgehende, nicht gerade alltägliche Hypothese Auftrieb. Danach sollen die Angiospermen wesentlich älter sein, als sie fossil belegt sind, weil sie zunächst an Standorten lebten, die fossil nicht erhalten wurden (vgl. Stephan 2002).
Solche Überlegungen bekamen Unterstützung durch molekulare Untersuchungen. Hier wurde versucht, nach dem Prinzip der molekularen Uhren das „tatsächliche“ Alter der frühesten Angiospermen zu berechnen. Hochuli & Feist-Burkhardt referieren den neuesten Stand entsprechender Bemühungen. Die Ergebnisse sind je nach Methode und verwendetem Datensatz sehr verschieden. So reicht der Beginn der Angiospermen entweder zurück bis in Jura (193.8 Mio. rJ), Trias (221.5 Mio. rJ) oder Perm (275 Mio rJ), um nur einige Beispiele zu nennen. – Am Rande sei bemerkt, dass solche gewaltigen Diskrepanzen Fragen über die Aussagekraft molekularer Datierungen aufwerfen.
Die aktuellen Funde: Die Pollenfunde von Hochuli & Feist-Burkhardt sind insofern sehr bemerkenswert, als sie aus der Trias (247-242 Mio. rJ) stammen und somit – wie gesagt – die ersten fossilen Reste unterhalb der Kreide darstellen, die wahrscheinlich Angiospermen zuzuordnen sind. Die sehr gut erhaltenen und mit modernsten Methoden optisch gut erfassten Pollenkörner zeigen im Feinbau der Pollenwand (Exine) sehr große Übereinstimmungen mit Angiospermen. Wie die ersten sonst nachgewiesenen Angiospermen-Pollenkörner besitzen sie nur eine Falte (Einfurchen-Pollen). Allerdings ist ein deutlicher Unterschied zu diesen durch die extrem dünne innerste Schicht gegeben. Sechs verschiedene Typen wurden festgestellt. Sie alle konnten keinem bisher bekannten Pollentyp zugeordnet werden. Außerdem wurde in den Trias-Schichten Pollen des Afropollis-Typs gefunden. Dieser konnte verschiedentlich auch in der Kreide nachgewiesen werden. Aber auch hierbei ist unklar, ob es sich um Gymnospermen oder Angiospermen handelt.
Die große Ähnlichkeit in der äußeren Pollenwand spricht bei den Neufunden sehr für die Zugehörigkeit zu den Angiospermen. Als Alternative bliebe eine bisher nicht bekannte Gruppe von Gymnospermen; aber das ist eher unwahrscheinlich. Entscheidend aber ist, dass die neu gefundenen Pollenkörner nicht als Vorläufer der Angiospermen betrachtet werden können, da sie vom Feinbau der Pollenwand her keinen Anschluss an frühe Angiospermen-Pollen darstellen. Im Übrigen sprechen auch einige andere Befunde gegen diese Denkmöglichkeit. Dazu gehört die beobachtete große Bandbreite der verschiedenen Typen und die aus den Begleitfunden von Gymnospermen-Pollen in den betreffenden Schichten zu schließende große Unterschiedlichkeit der zugehörigen Standorte. Außerdem hatten die Autoren schon früher in ähnlichen Trias-Abfolgen der Barentssee (Norwegen) vergleichbare Pollenkörner gefunden (Hochuli & Feist-Burkhardt 2004). Dabei ist bemerkenswert, dass die dort als Begleitelemente gefundenen Sporen ein feuchtes Klima dokumentieren, während für die Schweizer Funde ein eher trockenes Klima anzunehmen ist.
Fazit: Die neuen mit ca. 240 Mio. rJ datierten Pollenfunde aus der Mittleren Trias der Nordschweiz und der Barentssee sind sehr bemerkenswert, da sie höchstwahrscheinlich Angiospermen zuzuordnen sind. Im Vergleich dazu stammen die ältesten bis dahin bekannten Pollenfunde und Makrofossilien von Angiospermen aus der Unterkreide (ca. 140-135 Mio. rJ). Es klafft also eine enorme Überlieferungslücke von ca. 100 Mio. rJ. Wie die zugehörigen Pflanzen ausgesehen haben, ist völlig unklar. Sicher ist aber von der Feinstruktur der Pollenwand her, dass es sich nicht um Vorläufer jener Pollentypen handelt, die man bei den für ursprünglich gehaltenen Angiospermen findet. Auch bleibt die Frage offen, wieso es über einen Zeitraum, der den gesamten Jura und die Untertrias umfasst, keine fossilen Nachweise gibt. Der Gedanke an geologisch nicht überlieferte Lebensräume liegt hier nahe (vgl. Stephan 2002). Außerdem passt die ökologische Bandbreite nicht ohne weiteres zu dem oben genannten Konzept von Axelrod, wonach Angiospermen-Fossilien in älteren Systemen als Kreide nur deshalb fehlen, weil sie zu der Zeit an sehr speziellen Standorten wuchsen.
Insofern sind die Neufunde sehr bemerkenswert, weil sie darauf hinweisen, dass ganze Organismengruppen über große Zeiträume bzw. über viele geologische Schichtglieder hinweg ohne fossile Dokumentation existieren können. Zur Frage der Abstammung der Angiospermen bringen sie aber keine entscheidende Klärung.
Literatur
Axelrod DI (1952) A theory of angiosperm evolution. Evolution 6, 29-60.
Hochuli PA & Feist-Burkhardt S (2004) A boreal early cradle of Angiosperms. Angiosperm-like pollen from the Middle Triassic of the Barents Sea (Norway). J. Micropalaeontol. 23, 97-104.
Hochuli PA & Feist-Burkhardt S (2013) Angiosperm-like pollen and Afropollis from the middle triassic of the Germanic basin (Northern Switzerland). Frontiers in Plant Science. doi: 10.3389/fpls.2013.00344.
Kutzelnigg H (2000, 2001): Das „abscheuliche Geheimnis“. Woher kommen die Angiospermen? Stud. Int. J. 7, 51-58; 8, 10-15. (www.wort-und-wissen.de/sij/sij72/sij72-1m.html)
Stephan M (2002) Der Mensch und die geologische Zeittafel. Holzgerlingen.
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Re: wissenschaftliche Hintergründe zum Ursprung des Lebens
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04.12.13 Frühe Verschiedenartigkeit
Eine systematische Studie über die Fossilabfolgen verschiedener Organismengruppen zeigt – entgegen evolutionstheoretischen Erwartungen – einen klaren Trend: Das größte Ausmaß der Verschiedenartigkeit1 der untersuchten Gruppen wird frühzeitig erreicht und nimmt im Laufe der Fossilüberlieferung ab.
In Charles Darwins Hauptwerk On the origin of species ist eine einzige Abbildung abgedruckt: Ein Baum mit allmählich zunehmender Verzweigung und zunehmender Verschiedenartigkeit1. Die aufgezweigten Formen werden also im Laufe der Zeit allmählich unterschiedlicher. Am Anfang sind die Unterschiede zwischen den aufgespaltenen Formen noch gering, doch mit der Zeit nimmt die Verschiedenartigkeit immer mehr zu. Diese Darstellung ist folgerichtig, wenn die Lebewesen durch graduelle Evolution entstanden sind. Die experimentelle Forschung der Evolutionsmechanismen unterstützt die Erwartung gradueller Veränderungen. Größere sprunghafte Änderungen (wie z. B. vier- statt zweiflügelige Taufliegen) kommen zwar auch vor, ihre Träger sind aber weniger konkurrenzfähig, falls sie überhaupt lebensfähig sind. Neuere Hypothesen, wonach selbst morphologische Evolution sprunghaft durch Änderungen in der Verschaltung von (Regulations-)Genen ablaufen könne, sind weitgehend spekulativ, da nicht durch experimentelle Daten gedeckt.
Dementsprechend könnte man erwarten, dass die Fossilüberlieferung von Tier- und Pflanzengruppen einem sich allmählich verzweigenden Baum ähnelt. Doch wie die paläontologische Fachliteratur schon lange zeigt, trifft das nicht zu. Vielmehr scheinen die Stammbäume in gewisser Hinsicht auf dem Kopf zu stehen. Besonders ausgeprägt ist das bei der sogenannten „kambrischen Explosion“ der Fall (Valentine 2004, Erwin & Valentine 2013, vgl. Kambrische Explosion: Darwins Dilemma gelöst?). Nun haben Hughes et al. (2013) diesen Befund durch eine umfangreiche Studie bestätigt.
Die Autoren führten eine Meta-Analyse von 98 Vielzellergruppen durch und ermittelten das Ausmaß an Verschiedenartigkeit der Gruppen im Laufe der Zeit. Sie stellten fest, dass eine früh etablierte große Verschiedenartigkeit das vorherrschende Muster während des gesamten Phanerozoikums2 ist, d. h. seit Beginn der fossilen Vielzeller-Überlieferung (kambrische Explosion) bis zur Gegenwart. Dabei nimmt die Verschiedenartigkeit nach einem frühen Maximum im Laufe der Zeit wieder ab. Es sei auch kein Trend in den Verschiedenartigkeitsprofilen während dieser gesamten Zeitspanne erkennbar. Ausnahmen von diesem Befund gebe es nur bei Massenaussterbeereignissen sowie bei Formengruppen, die sich erst in jüngerer erdgeschichtlicher Zeit entfaltet haben und gegenwärtig noch existieren.
Dieser Befund steht den evolutionstheoretischen Erwartungen entgegen. Als Erklärung schlagen die Autoren vor, die schnell etablierte große Verschiedenartigkeit sei Folge der Evolution von Schlüsselneuheiten. Weniger wahrscheinlich seien dagegen Änderungen, die Umweltbedingungen als Ursache hatten, oder die durch katastrophische Umweltveränderungen eingetreten seien.
Kommentar. Alle genannten Erklärungsversuche sind jedoch ungeeignet, da sie nur als Begleiterscheinungen und nicht als Ursachen gelten können. Mit dem Nachweis von Begleitumständen ist aber niemals eine kausale Begründung gegeben. Wenn z. B. das Auftreten evolutionärer Neuheiten mit großer Verschiedenartigkeit am Beginn der Entfaltung einhergeht, resultiert daraus keine Erklärung, woher diese Neuheiten kommen und wie sie entstanden sind. Vielmehr wird das Ausmaß an Verschiedenartigkeit gerade an der Zahl unterschiedlicher Baupläne gemessen, die in evolutionstheoretischer Perspektive natürlich mit dem Auftreten von Neuheiten korreliert. Darin eine Ursache für das Phänomen der schnell etablierten Verschiedenartigkeit zu sehen, wäre ein Zirkelschluss.
Dass die Verschiedenartigkeit im Laufe der Zeit tendenziell eher abnimmt, könnte – so die Autoren – mit wachsenden Entwicklungszwängen (developmental constraints) zusammenhängen. Das heißt, je mehr die verschiedenen Organe der Lebewesen im Laufe der Zeit miteinander in Wechselwirkung treten, desto weniger konnte das Gesamtgefüge geändert werden. Auch diese Vorstellung ist spekulativ, darüber hinaus wenig plausibel, denn evolutionstheoretisch gesehen müssten vielfach Konstruktionszwänge wieder aufgebrochen worden sein. Wie dies funktioniert und wie anschließend auf diese Weise immer wieder vergleichsweise schnell eine große Verschiedenartigkeit relativ frühzeitig in der (Fossil-)Geschichte von Organismengruppen etabliert wurde, ist unbekannt. Zudem ist unbekannt, wie komplexere Lebewesen mit deutlich geringeren Konstruktionszwängen existieren könnten.
Anmerkungen
1 Mit Verschiedenartigkeit (disparity) wird die morphologische Variation, also die Unterschiedlichkeit von Bauplänen innerhalb einer größeren Formengruppe bezeichnet, im Gegensatz zur Vielfalt (diversity) innerhalb eines engen Verwandtschaftskreises. Beispielsweise würde man zehn Hunderassen als vielfältig bezeichnen, dagegen zehn sehr verschiedene Säugetierarten (etwa von Fledermaus bis Blauwal) als verschiedenartig.
2 Das Phanerozoikum umfasst alle geologischen Systeme, die in nennenswertem Umfang Vielzeller-Fossilien bergen, das sind alle Systeme vom Kambrium bis heute. „Phanerozoikum“ bedeutet „das Leben erscheint“ (in fossil erhaltener Form). Mittlerweile sind auch im jüngeren Präkambrium eine Reihe von Vielzellergruppen entdeckt worden; diese zeigen im Großen und Ganzen jedoch wenige Ähnlichkeiten mit den Fossilien seit dem Kambrium.
Literatur
Erwin D & Valentine JW (2013) The Cambrian explosion. The construction of animal biodiversity. Greenwood Village, Colorado.
Hughes M, Gerber S & Wills MA (2013) Clades reach highest morphological disparity early in their evolution. Proc. Natl. Acad. Sci. 110, 13875-13879.
Valentine JW (2004) On the origin of phyla. Chicago and London.
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"Ur"- Mollusken
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07.01.14 Eichelwürmer – vom Kambrium bis heute unverändert
Eichelwürmer aus dem Mittelkambrium ähneln heutigen Formen in erstaunlichem Maße. Nachdem kürzlich in der Antarktis erstmals Eichelwürmer entdeckt wurden, die Röhren bilden, ist die Ähnlichkeit mit den ebenfalls röhrenbildenden fossilen Formen perfekt. Die zwischenzeitlich diskutierte Vorstellung, die fossilen Eichelwürmer könnten Bindeglieder zu den Flügelkiemern (Pterobranchia) sein, ist damit nach Ansicht der Entdecker nicht haltbar.
Anfang des Jahres wurden schon länger fossil bekannte wurmartige Organismen aus dem mittelkambrischen Burgess-Schiefer eindeutig als Eichelwürmer identifiziert (Caron et al. 2013; Gee et al. 2013). Die betreffende Art wurde als Spartobranchus tenuis klassifiziert und gleicht heutigen Formen aus der Gruppe der Harrimaniiden bis in Details.1 Sie sind damit auch ein Beispiel für Stasis – das nahezu unveränderte „Stehenbleiben“ eines Bauplans über geologische Zeiträume hinweg. Der Nachweis von Eichelwürmern im Kambrium vergrößert die ohnehin immense Vielfalt der während der kambrischen Explosion auftretenden Formen noch weiter (vgl. Kambrische Explosion und Kambrische Explosion: Darvin´s Dilemma gelöst?).
Die Eichelwürmer (Enteropneusta) werden zusammen mit den Flügelkiemern (Pterobranchia) zu den Hemichordaten gestellt. Die Arten dieser auch als Kiemenlochtiere benannten Gruppe besitzen einen weichen, wurmähnlichen, aber innen ungegliederten Körper und sind äußerlich in Kopfschild, Kragen und Rumpf dreigeteilt. Die bis zu 10 cm langen Eichelwürmer leben am Meeresboden und graben Gänge. Sie bewegen sich im Meeresboden durch wellenförmige Muskelkontraktionen vorwärts und leben von im Schlamm enthaltenen organischen Partikeln mit Hilfe eines Nahrungstrichters am Vorderende. Da auch die Pterobranchia aus dem Kambrium bekannt sind, ist klar, dass der Ursprung der Hemichordaten entsprechend ins Unterkambrium verlegt werden muss (Caron et al. 2013, 503). Einen Unterschied schien es jedoch bei den fossilen Formen im Vergleich zu den heutigen zu geben. Bei den Fossilien wurden häufig faserige Röhren gefunden; in einem Fall war ein Eichelwurm mit dieser Röhre assoziiert. Daher wurde angenommen, dass die kambrischen Eichelwürmer anders als die heutigen zeitweise in Röhren lebten. Dieser Befund wurde von S. Conway Morris, einem der Bearbeiter so interpretiert, dass es sich hier um einen Hinweis handle, dass die fossilen Eichelwürmer Übergangsformen zu den Pterobranchia seien (http://www.bbc.co.uk/nature/21745029), die generell solche Röhren bilden. Es wurde allerdings auch diskutiert, dass auch die Eichelwürmer ursprünglich ebenso wie die Pterobranchia solche Röhren ausgebildet haben könnten, diese später aber verloren haben (Caron et al. 2013, 505).
Die letztere Deutung erhielt jüngst Unterstützung. Denn es wurden heute lebende Eichelwürmer in der Tiefsee der Antarktis entdeckt, die ebenfalls Röhren ausbilden und in eine neue Eichelwürmer-Familie, Torquaratoridae, gestellt werden (Halanych et al. 2013). Die Autoren nehmen in ihrem Artikel Bezug auf die mittelkambrischen Eichelwürmer, die ebenfalls Röhren bilden, und stellen die enorme Ähnlichkeit der kambrischen mit den heutigen Formen heraus. Der faserige Bau der fossilen Röhren konnte durch den Vergleich mit den heutigen Formen als Erhaltungsartefakt erklärt werden. Denn einige Röhren waren mit Sediment bedeckt, was ihnen ein geripptes Aussehen verleiht, das der fossilen Erhaltung ähnlich ist. Die Autoren schließen aus dem ähnlichen Röhren-Design zwischen S. tenuis und den antarktischen Torquaratoridae auf ähnliche Verhaltensweisen, die sich demnach über einen Zeitraum von etwa 500 Millionen Jahren erhalten hätten.
Damit sei die Vorstellung, dass S. tenuis ein Bindeglied zwischen den Eichelwürmern und Pterobranchiern sei, unglaubwürdig geworden. Die Autoren schreiben: „Da die Trennung zwischen Eichelwürmern und Pterobranchiern vor dem Mittelkambrium erfolgt sein muss, ist die Röhre von S. tenuis kein Vorläufer des Coeneciums [Röhren] der Pterobranchier“ (Halanych et al. 2013). Es sei anzunehmen, dass bereits der gemeinsame Vorfahre Röhren gebildet habe. Fossile Spuren dieses hypothetischen Vorfahren sind nicht bekannt.
Am Rande sei vermerkt, dass die Deutung der kambrischen Eichelwürmer als mögliche Bindeglieder in der Wissenschaftspresse mehrfach aufgegriffen wurde, nicht aber das nachfolgende Dementi.
Literatur
Caron JB, Conway Morris S & Cameron CB (2013) Tubicolous enteropneusts from the Cambrian period. Nature 495, 503-506.
Gee H (2013) Tubular worms from the Burgess Shale, Nature 495, 458-459.
Halanych KM, Cannon JT, Mahon AR, Swalla BJ & Smith CR (2013) Modern Antarctic acorn worms form tubes. Nature Communications 4, No. 2738, doi: 10.1038/ncomms3738.
1„Es ist fast so, als wenn man ein Foto eines heutigen Exemplars
machen würde“ wird Christopher Cameron zitiert, der heutige Eichelwürmer
untersucht (http://www.cbc.ca/news/technology/story/2013/03/13/science-phallus-fossil-acorn-worm.html).
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Re: wissenschaftliche Hintergründe zum Ursprung des Lebens
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17.01.14 Immer verworrener: Verwandtschaftsbeziehungen der ältesten Vielzeller
Erstmals wurde das gesamte Erbgut einer Rippenqualle sequenziert. Die Analyse der Daten ergab mehrere Überraschungen: Rippenquallen stehen anstelle der einfacher gebauten Schwämme an der Basis des Tierreiches. Für den gemeinsamen Vorfahren muss wahrscheinlich die Existenz eines Nervensystems angenommen werden, das die Schwämme wieder verloren hätten. Die Entstehung von Mesoderm und Muskelzellen muss zweimal unabhängig erfolgt sein. Die Befunde sind aus einer Schöpfungsperspektive leichter verstehbar.
In ihrem Buch „The Cambrian Explosion“ beschreiben Erwin & Valentine (2013, 266) die ursprüngliche Erwartung, die man über genetische Ähnlichkeiten von Organismen hatte. Vielzellige Organismen mit verschiedenen Bauplänen sollten kaum Ähnlichkeiten auf genetischer Ebene ausweisen: „Da Vielzeller-Baupläne entlang auseinanderstrebender Pfade evolvierten, um eine reiche morphologische Verschiedenartigkeit hervorzubringen, die wir sowohl bei fossilen als auch heutigen Faunen beobachten, schien es vernünftig zu sein, entsprechend große Unterschiede in ihrem Erbgut zu erwarten. … Es schien wahrscheinlich zu sein, dass beispielsweise Gliederfüßer und Chordaten nur wenige Gene teilen.1 Vor etwa 50 Jahren meinte Ernst Mayr, der „Darwin des 20. Jahrhunderts“, die Suche nach homologen Genen außer bei nah verwandten Formen sei aussichtslos (Mayr 1963, 609; vgl. Carroll 2005, 9).2
Heute wissen wir, dass es sich ganz anders verhält. Viele Regulationsgene, Gen-Netzwerke und Signalwege sind bei Organismen mit den unterschiedlichsten Bauplänen (von Quallen bis Wirbeltieren und Gliederfüßern u. v. a.) sehr ähnlich. Aus evolutionärer Perspektive muss aufgrund dieses eigentlich unerwarteten Befunds angenommen werden, dass der gemeinsame Vorfahr (mit einem einfachen Körperbauplan!) genetisch ausgesprochen komplex gewesen sein muss. Denn alle Gene, die in mehreren Organismen mit verschiedenen Bauplänen vorkommen, müssen in diesem ersten, einfachen und hypothetischen Organismus vorhanden gewesen sein. Die so bereits vorhandenen Gene sollen dann in den verschiedenen Linien für neue Zwecke rekrutiert worden sein. Es hat sich eingebürgert, dabei von genetischen Baukästen („tool-kits“) zu sprechen. Es scheint so, dass „Teile“ aus diesen „Baukästen“ je „nach Bedarf“ verwendet oder weggelassen wurden.3
Eine freie Kombinierbarkeit von Merkmalen („mal so, mal so“) stört bei der Erstellung von Stammbäumen, ist aber dagegen in ein Schöpfungskonzept gut zu integrieren. Ein Stammbaum kann zwar immer konstruiert werden; das erfordert aber in zunehmendem Maße entweder die Annahme von Konvergenzen („ist mehrfach entstanden“) oder von Rückentwicklungen („ist wieder entfallen“). Es gibt mittlerweile zahlreiche Beispiele, bei denen sicher geglaubte Homologien (als abstammungsbedingt interpretierte Ähnlichkeiten) wegen neuer Daten zu Konvergenzen (mehrfach unabhängig entstanden) uminterpretiert wurden mussten.
Dass genetische Daten immer wieder „klassischen“ Verwandtschaftsverhältnissen, die aus morphologischen Merkmalen erschlossen wurden, widersprechen, zeigte jüngst auch die Veröffentlichung des Erbguts der Rippenqualle Mnemiopsis leidyi. In dieser Arbeit wurde erstmals das komplette Erbgut einer Rippenqualle (Stamm Ctenophora) untersucht (Ryan et al. 2013). Trotz des deutschen Namens Rippenqualle haben diese nichts mit den echten Quallen aus der Ordnung der Nesseltiere zu tun (s. u.). Die Untersuchung der Rippenquallen war interessant, weil diese Organismen zu den einfachsten Tiergruppen gehören und an die Basis der Vielzeller gestellt werden. Dazu zählen außer den Rippenquallen auch die Schwämme (Porifera), die winzigen Placozoa (Plattentiere; durch die einzige Art Trichoplax vertreten) und die Nesseltiere (Cnidaria).
Rippenquallen unterscheiden sich von anderen Quallen, die zu den Nesseltieren gehören, in der zweiseitigen Symmetrie („rechte und linke“ Körperhälften statt „runder“ Radiärsymmetrie); die Körperachse ist durch einen Mund am einen Ende und ein Organ, das die Schwerkraft wahrnimmt, am anderen Ende definiert. Anders als die Placozoa und die Schwämme, aber gemeinsam mit den Nesseltieren besitzen die Rippenquallen Muskeln und Nervengewebe, letzteres ist als diffuses Netz organisiert. Schwämme, und Nesseltiere bilden in der Embryonalentwicklung nur zwei Keimblätter – Ektoderm und Endoderm – aus, jedoch kein Mesoderm (aus dem z. B. das Muskelgewebe gebildet wird), wie das sonst der Fall ist. Verschiedene Untersuchungen führten je nach Gewichtung der Merkmale zu unterschiedlichen Verwandtschaftsbeziehungen dieser vier Gruppen untereinander und zu den (höherentwickelten) Bilateria („Zweiseitentieren“). Ryan et al. (2013) bilden sechs verschiedene Verwandtschaftsbäume ab. Das zeigt deutlich die Schwierigkeiten, eine widerspruchsfreie Phylogenie entwerfen zu können.
Überraschenderweise sprechen nun die Sequenzdaten der 16.548 identifizierten Gene4 von Mnemiopsis leidyi dafür, dass die Rippenquallen der erste Zweig des Tier-Stammbaums sind und nicht die viel einfacher gebauten Schwämme, was man bisher annahm (Ryan et al. 2013). Die zuvor meist angenommene engere Verwandtschaft von Rippenquallen und Nesseltieren hat sich auch nicht bestätigt. Da die Rippenquallen ein Nervensystem besitzen, muss evolutionstheoretisch angenommen werden, dass der gemeinsame Vorfahr ebenfalls ein Nervensystem besaß. M. leidyi teilt zudem viele Gene des Nervensystems mit den Schwämmen, obwohl diese kein Nervensystem besitzen (Ryan et al. 2013). Daraus schließen die Forscher, dass die Schwämme das Nervensystem verloren haben. Wieder einmal soll also, entgegen früherer Erwartungen und Vorhersagen, die Abfolge von komplex nach einfach verlaufen sein ( Vgl. Von komplex nach einfach?). Die Alternative dazu wäre anzunehmen, dass das Nervensystem zweimal unabhängig entstanden ist. Das könnte auch einige Besonderheiten des Rippenquallen-Nervensystems verständlich machen5, wirft jedoch wieder andere Fragen auf (s. u.).
Eine weitere Überraschung ist der Befund, dass Rippenquallen zwar ein Mesoderm besitzen und darüber hinaus auch Muskeln ausbilden, sie dafür aber völlig andere Gene nutzen als die Bilateria. Auch verläuft der Bildungsprozess der Muskelzellen von erwachsenen Tieren ganz anders als bei den Bilateria. Das bedeutet, dass die auch genetische Maschinerie für die Entwicklung des Mesoderms und für die Bildung von Muskelzellen überraschenderweise zweimal unabhängig entstanden sein müsste (Ryan et al. 2013; vgl. Rokas 2013, 1329).
Die neuen Befunde wurden von Rokas (2013) auf eine interessante Weise kommentiert. Seiner Meinung nach ist die evolutionstheoretische Vorstellung einer linearen Entwicklung von „einfach“ zu „komplex“ eine teleologische, also zielorientiert. Das Ziel wäre der komplexe Organismus, der Beginn ein einfacher. Diese „teleologisch getränkte“ Vorstellung könne nun endlich aufgegeben werden – als ob man nur darauf gewartet hätte. Doch gerade neue Erklärungsansätze können ihrerseits in Richtung Teleologie gedeutet werden, denn: Woher kam der anzunehmende komplexere Vorfahr? Rokas spricht von einer „Fabrik des Ursprungs der Tiere“, zu der auch mehrfache unabhängige Entstehung und Verlust von Genen, Stoffwechselwegen und sogar spezialisierten Zelltypen gehören, wie in dieser Studie die Nerven- und Muskelzellen, die Ryan et al. (2013) als „hochentwickelt“6 bezeichnen. Doch jede Annahme einer Rückentwicklung (z. B. Verlust von Nervengewebe bei Schwämmen) verschiebt das Problem der vorherigen Entstehung (es muss vorher etwas gegeben haben, was verloren gehen konnte) nur noch weiter in die Vergangenheit. Die Folge ist, dass die hypothetischen komplexen gemeinsamen Vorfahren „überdesigned“ erscheinen (so Erwin & Valentine 2013, 336), da sie mit mehr genetischen Möglichkeiten ausgestattet zu sein scheinen als sie tatsächlich benötigten. Conway Morris (2000, 1) sprach übrigens in diesem Zusammenhang von „Tieren in Wartestellung“. Doch „warten“ erfordert Wissen über ein zukünftiges Ereignis. Wozu sollten Organismen genetischen „Ballast“ anhäufen? Die unabhängige Entstehung ähnlicher komplexer funktionaler Strukturen war evolutionstheoretisch aus guten Gründen bisher für sehr unwahrscheinlich gehalten worden, eben weil richtungslose Prozesse sich ähnelnde, ausgefeilte Resultate nicht erwarten lassen. Hier wird unter der Hand blinden Prozessen schöpferisches Potential oder eine Art prophetische Weitsicht zugebilligt.
Man kann die Befunde auch aus einer Schöpfungsperspektive deuten: Wenn Merkmale grundsätzlich frei kombinierbar sind, müssen sie nicht in einen widerspruchsfreien Stammbaum eingepasst, oder besser gesagt eingezwängt werden. Konvergenzen sind zu erwarten und hypothetische, unverständlich komplexe Vorfahren erübrigen sich.
Literatur
Carroll SB (2005) Endless Forms Most Beautiful. The New Science of Evo Devo and the Making of the Animal Kingdom. London.
Conway Morris S (2000) Evolution: Bringing molecules into the fold. Cell 100, 1-11.
Erwin DH & Valentine JW (2013) The Cambrian explosion. The construction of animal biodiversity. Greenwood Village, Colorado.
Mayr E (1963) Animal Species and Evolution. Harvard University Press.
Rokas A (2013) My oldest sister is a walnut? Science 342, 1327-1329.
Ryan F, Pang K et al. (2013) The genome of the ctenophore Mnemiopsis leidyi and its implications for cell type evolution. Science 342, 1242592, doi: 10.1126/science.1242592
Anmerkungen
1„As metazoan body plans evolved along many diverging pathways to produce the rich morphological disparity observed both in fossil and living faunas, it seemed reasonable to expect correspondingly large divergences in their genomes. … it seemed likely that arthropods and chordates, for example, shared few genes.“
2 „Much that has been learned about gene physiology makes it evident that the search for homologous genes is quite futile except in very close relatives. If there is only one efficient solution for a certain functional demand, very different gene complexes will come up with the same solution, no matter how different the pathway by which it is achieved. The saying ‘Many roads lead to Rome’ is as true in evolution as in daily affairs.“
3 „Die sehr ähnliche Architektur des Erbguts, die dem Arm, mit dem ich diesen Artikel schreibe, und dem Flügel der vorbeischwebenden Fliege zugrunde liegt, bringt die nüchterne Möglichkeit ins Spiel, dass Vieles in der Architektur der Organismen von einem Satz von Baukästen abhängt, von denen jeder bei Bedarf geöffnet wird“ (Conway Morris 2000, 9).
4 Ca. 6.000 Gene weniger als beim Menschen, aber mehr als bei der Taufliege Drosophila.
5 „It appears that much of the genetic machinery necessary for a nervous system was present in the ancestor of all extant animals. This pattern suggests that a less elaborate nervous system was present in the metazoan ancestor and was secondarily reduced in placozoans and sponges. The alternative is that neural cell types arose independently in both the ctenophore lineage and the lineage that led to cnidarians and bilaterians, which might explain some of the unique aspects of the ctenophore nervous system“ (Ryan et al. 2013, 7).
6 „sophisticated”
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28.01.14 Geheimnisvolle DNA – überlagernde Codes im Genom
Die Hinweise mehren sich, dass in der DNA, in der das Genom niedergelegt ist, dem „universellen“ genetischen Code für die Biosynthese von Proteinen verschiedene weitere Codes überlagert sind. Jüngst wurden experimentelle Befunde veröffentlicht, die zeigen, dass die Bindung von bestimmten Proteinen (sog. Transkriptionsfaktoren) an die DNA einen Einfluss darauf hat, welche Nukleotide in den Codons verwendet werden.1 Ein und dieselbe DNA-Sequenz wird in diesen Fällen also auf mindestens zwei ganz verschiedene Weisen genutzt.
Nachdem Watson & Crick (1953) die Struktur der Doppelhelix für die DNA veröffentlicht hatten, wurde in den folgenden Jahren viel Forschung in die Entschlüsselung des genetischen Codes investiert. Das Schlüsselexperiment gelang Heinrich Matthaei im Labor von Marshall Nirenberg am 27. Mai 1961. Die vollständige Zuordnung der 64 Nukleotidtripletts zu den 20 Aminosäuren, die für Proteine als Baustein verwendet werden, gelang bis 1966 vor allem auch durch die Beiträge aus der Arbeitsgruppe von Khorana. Die vor allem in den letzten Jahren mit der Erforschung des menschlichen Genoms gesammelte Erfahrung, dass nur ein vergleichsweise kleiner Teil des Genoms für Proteine codiert, verstärkte die Fragen nach weiteren Funktionen des Genoms.
Inzwischen ist klar, dass manche Proteine spezifisch an DNA binden und dadurch die Verfügbarkeit der dort codierten Information regulieren. Auch die Wechselwirkung von DNA-Sequenzen mit verschiedenen RNA-Molekülen beeinflusst die Aktivität von Genen. Weateritt & Babu (2013) sind der Meinung, dass die Bindungen von Proteinen und RNA an bestimmte genomische DNA-Sequenzen als unabhängige zusätzliche Codes betrachtet werden können. Beispielsweise untersuchten Sterachis et al. (2013) die Bindung eines bestimmten Typs von Proteinen, sogenannten Transkriptionsfaktoren, an die DNA des menschlichen Genoms in 81 verschiedenen Zelltypen. Sie konnten zeigen, dass etwa 15 % der Codons eines Gens (also den Basentripletts, die sonst für eine Aminosäure codieren) in rund 87 % der menschlichen Gene auch in die Bindung mit Transkriptionsfaktoren einbezogen werden. Die Autoren bezeichnen diese Genbereiche als „Duone“ und bringen damit zum Ausdruck, dass sie Information auf zwei Weisen codieren: einmal „klassisch“ für Proteine und zusätzlich durch die Bindung der Transkriptionsfaktoren für Regulation der Gene.
Die Wechselwirkung eines Proteins mit einer DNA-Sequenz, die gleichzeitig ein Protein codiert, stellt besondere Anforderungen an die genutzten Codons und die dadurch festgelegten Aminosäuren. Sterachis et al. untersuchten die Auswirkung des Austausches einzelner Nukleotide in Duonen auf die Fähigkeit, Transkriptionsfaktoren zu binden. Zunächst stellten sie dazu die bekannten genetischen Varianten zusammen, die mit Krankheiten oder mit einer veränderten Funktion der Duonen in Zusammenhang gebracht werden. Mehr als 17 % der Duonen, in denen einzelne Nukleotide ausgetauscht waren, zeigten eine veränderte Bindung der Transkriptionsfaktoren. Der Austausch von synonymen Codons, die also für dieselbe Aminosäure in den Proteinen codieren, führt zwar zum selben funktionsfähigen Protein, jedoch zu einer Veränderung der Bindung der Transkriptionsfaktoren. Dieser Befund deutet darauf hin, dass einige Änderungen in Duonen hauptsächlich ihre Transkriptionsfaktor-Bindung beeinflussen. Änderungen in der DNA-Sequenz können somit offensichtlich auch dann Krankheiten verursachen, wenn sie gar nicht zu Modifikationen in Proteinen führen. Der Austausch einzelner Nukleotide (single nucleotide polymorphism; snp) im Genom kann also auf vielfältige Weise einen Organismus beeinflussen; das gesamte Spektrum von regulatorischen Codes muss somit in Betracht gezogen werden.
Die Erkenntnis, dass im Genom verschiedene Codes enthalten sind und genutzt werden, eröffnet Einblicke in eine „Vieldimensionalität“ des Genoms. Diese erst ansatzweise verstandene Komplexität des Erbguts kann zum Staunen führen und eröffnet völlig neue Fragestellungen. Bisherige Vorstellungen zur Entstehung der im Genom abgespeicherten Information müssen neu überdacht werden, da die DNA-Sequenzen mit einer bisher ungeahnten Vielfalt an Codes abgelesen werden (s. z. B. auch Fellner et al. 2014).
Literatur
Fellner L, Bechtel N, Witting MA, Sion S, Schmitt-Kopplin P, Keim D, Scherer S & Neuhaus K (2014) Phenotype of htgA (mbiA), a recently evolved orphan gene Escherichia coli and Shigella, completely overlapping in antisense to yaaW. FEMS Microbiol. Lett. 350, 57-64.
Stergachis AB, Haugen E, Shafer A, Fu W, Vernot B, Reynold A, Raubitschek A, Ziegler S, LeProusr EM, Akey JM & Stamatoyannopoulos JA (2013) Exonic transcription factor binding directs codon choice and affects protein evolution. Science 342, 1367-1372.
Weatheritt RJ & Babu MM (2013) The hidden codes that shape protein evolution. Science 342, 1325-1326.
Watson JD & Crick FHC (1953) Molecular structure of nucleic acids. Nature 171, 737-738.
Anmerkung
1 Aufgrund der Degeneration des genetischen Codes werden dieselben Aminosäuren durch verschiedene Codons codiert. Die Bindung von Transkriptionsfaktoren an die DNA hat aber einen Einfluss auf die Wahl der verwendeten Codons für eine bestimmte Aminosäure.
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01.04.14 25 Jahre Evolution in vitro Gastbeitrag von Daniel Vedder Ein Langzeit-Evolutionsexperiment mit Bakterien erreicht demnächst 60.000 Generationen. In den letzten Jahren wurden bereits interessante Ergebnisse publiziert, etwa zum Auftauchen aerober Citratnutzung in E. coli oder über die Rolle von Hypermutatoren. Nun ist eine neue Studie erschienen, die nahelegt, dass die evolutionäre Adaptation auch bei gleichbleibenden Bedingungen nicht aufhört. Ob neue Strukturen evolutionär entstehen können, wurde bisher jedoch nicht gezeigt Das Langzeit-Evolutionsexperiment Eines der größten Hindernisse der experimentellen Evolutionsbiologie sind die sehr langen Zeitspannen, mit denen gerechnet werden muss. Zwar lassen sich im Freiland Populationen unter mehr oder minder natürlichen Bedingungen beobachten, doch immer nur für relativ wenige Generationen. Die Generationszeit der Studienorganismen erweist sich in der Praxis als begrenzender Faktor, weswegen nur wenige Experimente länger laufen als 100 oder sogar 1000 Generationen. Ein Freiland-Experiment mit Anolis-Eidechsen etwa umfasste 15 Generationen in ebenso vielen Jahren (vgl. Vedder 2012). Wenn von einer Erdgeschichte von mehreren Milliarden Jahren ausgegangen wird, leidet natürlich die Aussagekraft der Ergebnisse, die aus Experimenten mit so wenigen Generationen gewonnen werden. Um diese Problematik zu umgehen, werden in Evolutionsexperimenten bevorzugt Modellorganismen mit einer möglichst kurzen Generationsdauer eingesetzt, wie die Taufliege Drosophila melanogaster oder der Fadenwurm Caenorhabditis elegans, deren Reproduktionszeit in Tagen oder Wochen statt in Monaten oder Jahren gemessen wird. Dadurch lassen sich in relativ kurzer Zeit viele Generationen beobachten und so aussagekräftigere Ergebnisse erzielen. Ein anderer beliebter Modellorganismus für solche Experimente ist das Darmbakterium Escherichia coli. Es bietet zwar als Einzeller nur begrenzte Forschungsmöglichkeiten, durchläuft dafür aber an einem einzigen Tag sechs bis sieben Generationen. Aus diesem Grund entschied sich der amerikanische Evolutionsbiologe Richard Lenski, mit E. coli als Studienorganismus zu arbeiten, als er sein Langzeit-Evolutionsexperiment (Long-Term Evolution Experiment, LTEE) startete. Für seine Versuche startete er mit 12 verschiedenen Bakterienpopulationen („Stämme“) in einem Glucose-Nährmedium. Jeden Tag werden aus jedem Stamm einige Bakterien nach dem Zufallsprinzip entnommen und in frisches Medium gegeben, in welchem sie sich weiterentwickeln können. Regelmäßig eingefrorene Proben ergeben eine Art „Fossilbericht“, der benutzt werden kann, um Bakterien unterschiedlicher Generationen miteinander bezüglich evolutionärer Fitness oder sonstiger Eigenschaften zu vergleichen und ggf. auch ausgewählte Etappen zu wiederholen. Was 1988 als kleines Projekt begann, wurde bald weithin bekannt und erregte immer mehr Aufsehen. Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums publizierte die Wissenschaftszeitschrift „Science“ letztes Jahr sogar einen eigenen Bericht darüber (Pennisi 2013). So sind die bis jetzt erreichten ca. 60.000 Generationen rein rechnerisch vergleichbar mit einer Million Jahren Evolution des Menschen, womit es das derzeit mit Abstand am längsten laufende Evolutionsexperiment ist. Das LTEE hat bisher einige interessante Ergebnisse hervorgebracht: Beispielsweise sind sechs der Stämme zu so genannten Hypermutatoren geworden, d. h. ihre Mutationsrate ist um mehrere Größenordnungen gestiegen. Unerwartet war, dass sich die Stämme trotzdem insofern ziemlich parallel entwickelten, als der Fitnessgraph jedes Stammes dieselbe Form aufwies. Das bekannteste und bedeutendste Ergebnis ist jedoch das Auftauchen eines Citrattransports in E. coli, das für viel Furore sorgte. Die Charakterisierung von E. coli zeigt, dass die Mikroben unter aeroben Bedingungen Citrat nicht in die Zelle transportieren können, und daher unter solchen Bedingungen das Citrat trotz des verfügbaren Zitronensäurezyklus nicht als Kohlenstoffquelle nutzen kann. Blount et al. (2008) hatten berichtet, dass in einem der 12 E. coli-Stämme diese Funktion über mehrere Mutationen erlangt worden ist, dies war als „evolutionäre Neuheit“ beschrieben worden. Bei genaueren Untersuchungen stellte sich jedoch heraus, dass die vermeintliche „key innovation“ lediglich auf Veränderungen in der Genregulation zurückzuführen ist, also keineswegs die Entstehung einer neuen Funktion vorliegt (vgl. Binder 2012). Zwischendurch experimentierte Lenski auch mit digitalen Organismen (kleine selbst-replizierende Computerprogamme), die eine noch viel kürzere Generationszeit aufweisen und außerdem einfacher zu handhaben und untersuchen sind als Bakterien. Die Relevanz dieser Ergebnisse für reale biologische Systeme ist aber zweifelhaft (vgl. Bertsch und Waldminghaus 2005). Unendliche Evolution? Neueste Ergebnisse aus dem Lenski-Labor beziehen sich auf den Gesamt-Fitnessgewinn der Populationen, der über 50.000 Generationen des Experiments hinweg gemessen wurde (Wiser et al. 2013). Im Schnitt waren die Bakterien in dem verwendeten Nährmedium 1,7 mal fitter als die ursprüngliche Gründerpopulation, gemessen an ihrer relativen Wachstumsrate. In den frühen Phasen des LTEE stieg die Fitness am schnellsten, danach flachte die Kurve ab, stieg aber immer weiter. Nach 10.000 Generationen hatten die Forscher vorausgesagt, dass es irgendwann keine vorteilhaften Mutationen für die gleichbleibenden Bedingungen geben und die Fitness somit nicht weiter gesteigert würde (Lenski & Travisano 1994). Es gibt jedoch immer noch keine Anzeichen für ein Fitnessplateau. Im Gegenteil, mathematische Beschreibungen der Fitnesskurve über die Zeit legen ein Modell nahe, dessen Steigung nie Null wird, d. h. dass die Fitness also immer größer wird. Interessanterweise haben die oben erwähnten Hypermutatoren fast durchgehend eine höhere Fitness als Stämme mit normalen Mutationsraten. Diskussion Dass die Fitness scheinbar unendlich steigt, ist ein unerwartetes Ergebnis. Nach dem gängigen Modell der Fitnesslandschaft entwickeln sich Populationen unter gleichbleibenden Bedingungen in Richtung einer „Bergspitze“, eines Maximums. Ist die Spitze der Landschaft erreicht, kann die Anpassung mangels Möglichkeiten nicht weiter verbessert werden. Natürlich ist es noch möglich, dass das LTEE diesen Zustand trotzdem irgendwann erreichen wird. Pennisi zitiert jedoch Lenski mit folgenden Worten: „Das Konzept einer Fitness-Spitze ist schwerer zu greifen als ich erwartet hatte. Ich halte es für gut möglich, dass die Fitness sich noch eine Million Jahre lang weiter steigern wird“ (Pennisi 2013, übersetzt vom Autor). Auch aus der Sicht der Schöpfungsforschung ist das durchaus überraschend. Lönnigs Regel der rekurrenten Variation besagt, dass einem Grundtyp nur endlich viele verschiedene Mutationen zur Verfügung stehen (vgl. Lönnig 2005). Daher würde man auch hier schlussendlich ein Fitnessmaximum erwarten. Warum dies (noch) nicht eingetroffen ist, bleibt offen. Es muss allerdings auch bedacht werden, dass Fitnesssteigerung nicht gleichbedeutend ist mit der Entwicklung evolutionärer Neuheiten. Außerdem ist bei der Bewertung der Ergebnisse natürlich zu berücksichtigen, dass dies nur die Daten aus einem einzigen Großexperiment sind. Weitere Ergebnisse könnten das Bild stark verändern. Sollte das aber nicht der Fall sein, müssen einige theoretische Modelle modifiziert oder gar verworfen werden. Die hervorgehobene Rolle der Hypermutatoren ist auch eine besondere Betrachtung wert. Da die meisten Mutationen der Fitness abträglich sind, war man früher davon ausgegangen, dass die natürliche Selektion die Mutationsrate so gering wie möglich halten würde. Daher mussten, als 1997 im LTEE die Hypermutatoren beschrieben wurden, die sich gegen Nicht-Mutatoren durchsetzen konnten, neue evolutionsbiologische Modelle zum Einfluss der Mutationsrate entwickelt werden (Sniegowski et al. 1997). Der Biochemiker Michael Behe macht außerdem darauf aufmerksam, dass einige der Hypermutatoren-Stämme ihren Phänotyp durch die Ausschaltung zweier Enzyme erlangten. Somit wäre diese evolutionär vorteilhafte Entwicklung eine Rückentwicklung – „ein schlechtes Omen für jegliche Theorie der Evolution, die sich allein auf blinde, ungerichtete Prozesse verlässt“, wie er sich ausdrückt (Behe 2013, übersetzt vom Autor). Ob zudem Hypermutatoren makroevolutive Änderungen erleichtern oder ermöglichen, ist offen und durch die bisher vorliegenden Befunde aus dem LTEE nicht entscheidbar. Das LTEE bleibt auch nach 25 Jahren ein faszinierendes Experiment, das viele wertvolle Daten liefert. Vielleicht führen einige davon dazu, dass momentan anerkannte Hypothesen revidiert werden müssen – das ist der Gang der Wissenschaft. Ob nun die natürliche Selektion tatsächlich unendlich weiterläuft, wie Lenski vermutet, oder ob sie doch in einem Plateau mündet müssen zukünftige Untersuchungen zeigen. Literatur Bertsch E & Waldminghaus T (2005) Evolution virtueller Lebewesen. Stud. Integr. J. 12, 34-35. (www.wort-und-wissen.de/sij/sij121/sij121-7.html) Binder H (2012) Von der Citrat-Verwertung zur Entstehung des Auges? Behe M (2013) Lenski's Long-Term Evolution Experiment: 25 Years and Counting. Evolution News, http://www.evolutionnews.org/2013/11/richard_lenskis079401.html Blount ZD, Borland CZ & Lenski RE (2008) Historical contingency and the evolution of a key innovation in an experimental population of Escherichia coli. Proc. Natl. Acad. Sci. 105, 7899-7906 Lenski RE (2011) Evolution in Action – a 50,000 Generation Salute to Charles Darwin. Microbe 6, 30-33. Lenski RE & Travisano M (1994) Dynamics of adaptation and diversification: a 10,000-generation experiment with bacterial populations. Proc. Natl. Acad. Sci. 91, 6808-6814. Lönnig WE (2005) Mutation Breeding, Evolution and the Law of Recurrent Variation. Recent Research Developments in Genetics and Breeding 2, 45-70. Pennisi E (2013) The Man Who Bottled Evolution. Science 342, 790-793. Sniegowski PD, Gerrish PJ & Lenski RE (1997) Evolution of high mutation rates in experimental populations of E. coli“ Nature 387, 703-705. Vedder D (2012) Gründereffekt bei Eidechsen: ein Freilandexperiment auf Inseln. Stud. Integr. J. 19, 107-109. Wiser MJ, Ribeck N & Lenski RE (2013) „Long-term dynamics of adaption in asexual populations. Science 342, 1364-1367. | |
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14.04.14 Königsfarn – 180 Millionen radiometrische Jahre lang unverändert Der Fund eines fossilen Königsfarns aus dem schwedischen Unterjura (180 Millionen radiometrische Jahre) stellt bisher bekannte Beispiele lebender Fossilien aufgrund detaillierter Erhaltung selbst von subzellulären Strukturen in den Schatten. Dass auch zelluläre Details über einen mutmaßlich so großen Zeitraum nahezu unverändert bleiben, wirft einige Fragen auf. Lebewesen, die als Fossilien bekannt sind, aber auch heute in sehr ähnlicher Form existieren, üben eine besondere Faszination aus. Der Zahn der Zeit scheint ihnen nichts anhaben zu können. Solche „lebenden Fossilien“ werden in evolutionärer Perspektive eher als Ausnahmen angesehen – widerstanden sie doch viele Millionen Jahre lang dem scheinbar unausweichlichen Drang der Natur zur Veränderung, der – so die Ansicht der Evolutionsbiologie – zur immensen Vielfalt an Formen geführt haben soll. Wenn also Evolution das Normale ist, wären unverändert lebende Fossilien als Ausnahme zu kennzeichnen. Was aber, wenn die Ausnahme zur Regel wird? Denn lebende Fossilien sind keineswegs so selten, mindestens wenn man den Vergleich zwischen heute lebend und fossil nicht zu eng auf der Artebene ansetzt sondern auf der Ebene von Grundtypen. Wie kommt es, dass der mutmaßlich lang anhaltende Prozess der Evolution bei so vielen Organismen irgendwann zum weitgehenden Dauerstillstand gekommen ist? Ist eine innovative Evolution wirklich eine Grundeigenschaft des Lebens? Oder bestätigen lebende Fossilien nicht gerade das Gegenteil, dass den Veränderungen der Organismen Grenzen gesetzt sind? Aus der Sicht der Schöpfungslehre ist das häufige Vorkommen lebender Fossilien nicht überraschend, ja dies kann sogar als eine Voraussage verstanden werden, die durch Forschung belegt oder auch widerlegt werden kann. Auch wenn lebende Fossilen also keineswegs selten sind, ist der Fund eines „lebenden Fossils“ eines Königfarns, über den Bomfleur et al. (2014) berichten, bisher einzigartig und höchst erstaunlich. Dass Königsfarne (Familie Osmundaceae) sich seit dem unteren Mesozoikum (220 Millionen radiometrische Jahre) in ihrem Bau fast nicht verändert haben, ist schon länger bekannt. Der jüngst beschriebene Fund aus dem schwedischen Unterjura (180 Millionen radiometrische Jahre) stellt bisher bekannte Beispiele lebender Fossilien aufgrund detaillierter Erhaltung selbst von subzellulären Strukturen jedoch in den Schatten. Ein etwa 6 cm langes Rhizom (Erdspross) von ca. 7 mm Durchmesser und zahlreichen Ansätzen von Blattwedeln lässt aufgrund besonderer Erhaltung nicht nur die Zellwände sehr gut erkennen, sondern auch Zellkerne und Zellorganellen. Und es kommt noch besser: Einige der Zellen waren gerade in Teilung begriffen, so dass sogar spezifische Chromosomen in verschiedenen Teilungsstadien identifiziert werden können. Die Größe der fossilen Zellkerne während der Interphase entspricht der Größe heutiger Osmundaceae. Die Autoren schließen daraus, dass sich die Genomgröße 180 Millionen Jahre lang nicht geändert hat, ein „hervorragendes Beispiel eines evolutionären Stillstands“ (Bomfleur et al. 2014, 1376). Weder Vervielfachung des Erbguts noch nennenswerte Genverluste seien vorgekommen – der evolutionäre Stillstand ist nahezu total. „Wenn wir die feinen Zellstrukturen dieses 180 Millionen Jahre alten Fossils mit denen heute lebender Königsfarne vergleichen, sind sie eigentlich identisch“, wird Bomfleur im Deutschlandfunk zitiert (http://tinyurl.com/paowga7). Möglich wurde die hervorragende Erhaltung dadurch, dass durch eine vulkanische Schlammlawine vermutlich 70-120oC Grad Celsius heiße, mit Mineralen beladene vulkanische Wässer Kontakt mit den Pflanzen bekamen und dadurch Kalzit auskristallisiert wurde. Das ermöglichte die Konservierung des Inhalts der Zellen bis in feinste Details. Die Fossilisierung muss ungewöhnlich schnell innerhalb weniger Minuten abgelaufen sein. Lebende Fossilien wie die Königfarne sind eine Herausforderung für den Geltungsanspruch einer evolutionsbiologischen Interpretation des Lebens. Darüber hinaus ergeben sich aber auch Anfragen dahingehend, ob die ermittelten Zeiträume wirklich reale Zeitabschnitte repräsentieren. Diese Anfrage wiegt umso schwerer, je vehementer man auf die Evolution als eine Grundeigenschaft des Lebens verweist. Literatur Bomfleur B, McLoughlin S & Vajda V (2014) Fossilized nuclei and chromosomes reveal 180 million years of genomic stasis in royal ferns. Science 343, 1376-1377. | ||
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29.04.14 Ein weiterer Baustein der kambrischen Explosion: Gliederfüßer als Filtrierer Die kambrischen Gesteinsschichten bergen eine große Anzahl verschiedenster Baupläne, die recht abrupt in der Fossilüberlieferung erscheinen. Die dort auch vertretenen Anomalocariden galten bisher als furchterregende Räuber. Nun hat sich herausgestellt, dass einige von ihnen Filtrierer waren, die Kleinstlebewesen aus dem Wasser siebten. Damit sind sie ein weiterer Baustein der kambrischen Tier-Vielfalt und wieder einmal ein Beispiel für Konvergenz – die mehrmalige unabhängige Entstehung eines komplexen Bauplanelements. Im Jahr 1989 beschrieb der unvergessene Paläontologe Stephen J. Gould in seinem Buch „Wonderful Life“ (deutsch 1991) die ungewöhnliche Tierwelt des Kambriums, besonders des mittelkambrischen Burgess-Schiefers in Britisch-Kolumbien (Kanada). Unter dessen Fossilien klassifizierte er 20 neue Tierstämme mit großen Bauplan-Unterschieden, die er als „irre Wundertiere“ bezeichnete; die äußerst vielgestaltigen Tiere nannte er „einzigartige Gliederfüßer“ mit einem „Maximum an anatomisch leistungsfähigen Möglichkeiten“. Seiner Meinung nach übertreffen die Burgess-Fossilien „wahrscheinlich das gesamte Spektrum des wirbellosen Lebens in den heutigen Ozeanen“. Zu diesen „irren Wundertieren“ gehören die Anomalocariden („ungewöhnliche Garnelen“). Mit einer Länge von bis zu zwei Metern waren die unter den größten Tieren der kambrischen Gewässer. Sie werden zu den Gliederfüßern (Arthropoda) gerechnet. Mit ihren Seitenlappen am segmentierten Rumpf waren sie wahrscheinlich gute und wendige Schwimmer. Die Anomalocariden galten bislang als formidable Räuber, doch neuere Untersuchungen stellen das teilweise in Frage und liefern ein überraschendes Ergebnis. Neue Fossilfunde aus Nordgrönland legen nahe, dass einige Arten der Anomalocariden sich mit Hilfe einer ausgeklügelten Filtriertechnik von Plankton ernährten – ähnlich wie die heutigen Bartenwale wie z. B. der Blauwal. Untersucht wurden fünf fossil erhaltene, stachelbewehrte, ca. 12 cm lange Anhänge und zwei mit dem Kopfschild verbundene Anhänge von Tamisiocaris borealis aus der unterkambrischen Sirius-Passet-Konservat-Lagerstätte (Bild einer Rekonstruktion hier: http://d.ibtimes.co.uk/en/full/1370642/tamisiocaris.jpg). Dabei wurden die beiden langen, stachelbewehrten Anhänge am Kopf genauer unter die Lupe genommen. Die Greifer erwiesen sich als beweglich und die filigranen Fortsätze besitzen feine, ineinander greifende Stacheln. Diese interpretieren die Forscher als Werkzeuge, mit deren Hilfe Tamisiocaris Organismen ab einer Größe von etwa ½ Millimeter aus dem Wasser gefischt hat (Vinther et al. 2014). „Ausgestreckt bilden sie eine Art Kamm, den der Urzeit-Gliederfüßer durch das Wasser gezogen haben könnte wie eine Art Netz. Rollte er dann die Anhänge zum Mund hin ein, bildeten ihre Borsten einen dichten Käfig, in dem gefangene Organismen hängenblieben“ (Podbregar 2014). Aufgrund der Filtrierer-Fähigkeit stellen die Forscher Tamisiocaris in die neue Gruppe der Cetiocaridae (Walgarnelen; cetus, lat. = Wal; „caris“ steht für Garnele). Die Autoren schließen, dass ein vielfältiges Ökosystem mit gut entwickelten Nahrungsketten in den offenen Meeren ausgeprägt gewesen sei.1 Denn um als Filtrierer leben zu können, ist eine hohe Primärproduktion und ausreichend Plankton Voraussetzung. Vinther et al. (2014) geben auch eine Übersicht über die Vielfalt des Baus der Anhänge der Anomalocariden, z. B. solche mit dreizackigen Stacheln oder mit scherenartigen Anhängen und stellen fest (S. 498), dass die außerordentliche morphologische Vielfalt der Anhänge zeige, dass es sich bei den Anomalocariden nicht um ein gescheitertes Evolutionsexperiment handle, sondern um eine umfangreiche Radiation im Laufe der kambrischen Explosion.2 Die Untersuchung ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen vergrößern die Beobachtungen an Tamisiocaris die Vielfalt an ausgeklügelten Einrichtungen, die bereits im Unterkambrium ohne erkennbare Vorfahren präsent waren. Zum anderen zeigen sie einmal mehr, dass komplexe Einrichtungen mehrfach (oft vielfach) unabhängig auftauchen – in diesem Fall die Fähigkeit der Nahrungsfiltrierung. Eine ganze Reihe von Filtrierern gibt es außer den bereits erwähnten Bartenwalen auch unter den Gliederfüßern; und die Filtrierer sind nun um ein interessantes Mitglied erweitert worden, das diese Fähigkeit unabhängig erworben haben muss (Konvergenz). Vinther et al. (2014) erwähnen, dass bei den Cetiocaridae ähnliche Einrichtung zum Filtrieren verwirklicht sind wie bei anderen Filtrieren unter den Gliederfüßern (z. B. den Rankenfußkrebsen, Cirripedia). Dabei muss bedacht werden, dass diese Fähigkeit sehr anspruchsvoll ist und viele Details zusammenstimmen müssen. Ein allmählicher Erwerb oder – wie man evolutionstheoretisch vermutet – ein Umbau von einer räuberisch lebenden Ausgangsform sind sehr fragwürdig. Denn um ernährungsmäßig über die Runden kommen zu können, muss die Filtrierfunktion gut ausgebaut sein. Und der Verlust des räuberischen Nahrungserwerbs kann selektiv wohl kaum begünstig werden, solange die neue Art des Nahrungsgewinns nicht ausreichend funktioniert. Vinther et al. (2014, 499) dagegen werten die Existenz der filtrierenden Gattung Tamisiocaris und das Ausmaß unabhängiger (konvergenter) Entstehung ähnlicher Konstruktionen als Beleg für Vorhersagbarkeit und Kanalisierung der Evolution. Worin diese Kanalisierung aber bestehen soll, ist völlig unklar und wird nicht thematisiert. Die Annahme einer zielorientierten, sprich schöpferischen Verursachung ist viel naheliegender. Literatur Gould SJ (1989) Wonderful Life. New York: W. W. Norton & Co. (dt. 1991: Zufall Mensch. München – Wien) Vinther J, Stein M, Longrich NR & Harper DAT (2014) A suspension-feeding anomalocarid from the Early Cambrian. Nature 507, 496-500. Podbregar N (2014) Sanfte Riesen im Urzeitmeer. http://www.wissenschaft.de/erde-weltall/palaeontologie/-/journal_content/56/12054/3250966/Sanfte-Riesen-im-Urzeitmeer/ Anmerkungen 1 „The Cambrian pelagic food web was therefore highly complex containing multiple trophic levels, including pelagic predators and multiple tiers of suspension feeders” (Vinther et al. 2014, 499). 2 „This extraordinary range of appendage morphologies shows that, far from being a failed experiment, anomalocarids staged a major adaptive radiation during the Cambrian explosion, evolving to fill a range of niches as nektonic predators, much like the later radiations of vertebrates and cephalopods, including suspension feeders“ (Vinther et al. 2014, 498). | ||
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