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Gespräch mit einem Isis-Massenmörder

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Gespräch mit einem Isis-Massenmörder Empty Gespräch mit einem Isis-Massenmörder

Beitrag von Elischua Di 13 Jan 2015, 13:41

Gespräch mit einem Isis-Massenmörder

Abu Ahmad kämpfte neun Monate mit der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien. Inzwischen ist er ausgestiegen – und berichtet aus dem Alltag eines Scharfrichters "im Auftrag Gottes".


Von   Vanessa Schlesier  Reporterin Investigativ
Gespräch mit einem Isis-Massenmörder Schlesier-frei
Gespräch mit einem Isis-Massenmörder Ex-Isis-K-mpfer-Bilder-kommen-ber-Van
Foto: Welt Gruppe  Einst kämpfte er für die Terroristen von Isis, heute hat Abu Ahmad (hier gepixelt) seine Zweifel an deren Vorgaben – und lebt deshalb vorerst in der Türkei  
Als Abu Ahmad al-Idlebi das erste Mal einen Menschen tötete, fühlte er eine tiefe Befriedigung. Langsam schnitt er seinem Opfer die Kehle durch. Es war die gerechte Strafe, fand er, für einen, der es nicht verdiente zu leben. Der Mann hatte eine Studentin vergewaltigt. Auf offener Straße, während eines friedlichen Protestes im syrischen Aleppo. Danach schob er ein Messer in sie und ließ sie ausbluten. Abu Ahmad fühlte sich als Rächer. So sagt er es jedenfalls.
Er machte ein Foto des Toten. Das machte er oft, wenn er einen Menschen umbrachte. Er hat mehr als 100 solcher Bilder auf seinem zerkratzten Smartphone gespeichert. "200 fehlen", sagt er. Abu Ahmad war mit hängenden Schultern in ein Café im Zentrum Istanbuls gekommen. Im Hinterhof gibt es einen großen Garten mit vielen kleinen Ecken, in denen man verschwinden kann. Er begrüßte den Kontaktmann mit Handschlag, der Reporterin nickte er zu. Eine Berührung mit fremden Frauen ist "haram", ein Tabu.
Abu Ahmad heißt im wahren Leben anders. Er hat jetzt selbst Angst, getötet zu werden. Er war Teil der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien, kurz Isis. Einer Gruppe, die im Nahen Osten einen Gottesstaat errichten will und im Moment fast jeden Tag in den Nachrichten ist, weil sie im Irak mehrere Städte eingenommen oder eine Giftgasfabrik besetzt hat. Sie ist unter den grausamen Banden die vielleicht grausamste. Und Abu Ahmad, Schwiegersohn des regionalen Isis-Emirs von Idlib, in der Struktur der Terrororganisation damit ein Prinz, war ein Scharfrichter im Namen Gottes. Jetzt aber hat er Angst, denn er ist kein Prinz mehr.

Die anderen Terror-Gruppen waren ihm zu lasch

Abu Ahmad war bei zwei Islamistengruppen gewesen, die al-Qaida nahestanden. Sie waren ihm zu lasch. So fing alles an. Im September vergangenen Jahres begann er, ein Killer im Dienst von Isis zu werden. "Die islamische Gesellschaft ist mein Ideal", sagt er. Die Scharia als Gesetz. Kein unmoralisches Verhalten, keine Zigaretten, kein Alkohol, keine Frauen. "Isis-Mitglieder sind rein und verhalten sich vorbildlich. Sie glauben daran, was sie tun. Ehrlich und ernsthaft", sagt er. Er inhaliert tief den Rauch einer Zigarette mit Erdbeergeschmack. "Mein Laster. Nicht gut."
Alte Weggefährten der Dschabat-al-Nusra-Islamisten hatten ihn vor Isis gewarnt. "Sie werden dir den Kopf abhacken." Er dachte sich: Was passiert, wird passieren.
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Foto: Munzer Al Awad  Die Reporterin Vanessa Schlesier im Gespräch mit dem Übersetzer (links) und dem ehemaligen Isis-Kämpfer  
Al-Nusra jedenfalls war ihm nicht mehr konsequent genug: "Mich störte, dass sie nur bei Regimesoldaten die Scharia-Gesetze anwendeten, nicht bei der Bevölkerung." Von Isis hörte er, dass er radikaler und reicher war: "Angeblich bekamen die Kämpfer zur Hochzeit Zehntausende Dollar. Viele sollen einen BMW X5 fahren." Ein Emir der al-Nusra, eine Art Regionalfürst, gab ihm ein Empfehlungsschreiben mit.
Am ersten Tag des Scharia-Kurses verlangte eine Wache, dass Abu Ahmad an der Tür seine Zigaretten abgibt. "Ich bat ihn, komm, du rauchst doch gar nicht, lass sie mir." Er mimt einen verzweifelten Gesichtsausdruck. Es half nichts. So begannen seine neun Monate bei Isis. Anfangs machten ihm die Isis-Krieger Angst, sagt Abu Ahmad. Sie haben ihre Augen dunkel geschminkt, wie der Prophet. Schon kurz nach seiner Ankunft im September 2013 sei er vom Neuling zum Lehrer geworden, sagt er. Er war in Saudi-Arabien aufgewachsen, er war mit der Scharia vertraut.

"Vergewaltiger zu enthaupten war mein Ding"

Ein Gespräch mit Abu Ahmad ist eine der sehr seltenen Möglichkeiten, Einblicke in eine Organisation zu bekommen, die derzeit die westliche Welt in Angst und Schrecken versetzt. Es dauert fünf Stunden. Es ist nur deshalb zustande gekommen, weil ein Kontaktmann ihn auf der Straße erkannt und angesprochen hat. Abu Ahmad hatte Angst, bei der Polizei verpfiffen zu werden.
Es ist nicht immer leicht herauszufinden, ob Abu Ahmad gerade die Wahrheit erzählt oder einfach eine Geschichte. Es gibt Dinge, die sich nicht überprüfen lassen. Wie viele Menschen er wirklich umgebracht hat, beispielsweise. Aber man kann sich an seine Fersen heften, er hat Spuren hinterlassen. Vieles von dem, was er über sein Leben und seine Zeit bei Isis erzählt, lässt sich bestätigen, auch Details über Orte, Menschen und Begebenheiten aus seinem früheren Leben. Von früheren Weggefährten, von Feinden und auch von deutschen Geheimdiensten.
Eines der Dinge, die der Westen vielleicht schon über Isis weiß, ist: dass alle Neueinsteiger erst einmal einen Scharia-Kurs besuchen müssen: "Es geht bei null los", sagt Abu Ahmad, beim Glaubensbekenntnis. "Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet." Drei Wochen lang lernen sie, wie sie zu beten haben, wie zu fasten und wie korrekt jemanden zu enthaupten. "Es gibt Regeln. Es muss ein Zeuge anwesend sein, der bestätigt, dass der Verbrecher die Taten begangen hat", sagt Abu Ahmad. Er habe Vergewaltiger geköpft, das sei sein Ding gewesen. Dieben die Hand abzuhacken, das habe er nicht gekonnt.
Isis, sagt er, sei nicht brutal. "Sie bestrafen nur." Bis vor gut einem Monat gehörte er zu denen, die bestraft haben. Jetzt fürchtet er selbst, von Isis bestraft zu werden. Er ist, wenn man so will, desertiert. Ende vergangenen Jahres, nach etwa zweieinhalb Monaten, verließ er die Scharia-Schule. Er wollte kämpfen.

Abu Ahmad musste das Töten nicht lernen

Gleich nach dem Scharia-Kurs werden die Neuankömmlinge an der Waffe ausgebildet, sagt Abu Ahmad. "An der AK 47, einem schweren Maschinengewehr und einer Fliegerabwehrkanone." Er brauchte auch diesen Kurs nicht mehr. Abu Ahmad weiß seit den ersten Tagen der syrischen Revolution, wie man tötet. Er kämpfte jetzt in Afrin gegen die Kurden. Die Isis-Emire unterteilen die Fronten in Abschnitte. "B1, B2 und so weiter. Es ist alles gut organisiert." Nach kurzer Zeit wechselte er zu einer Einheit in der Nähe seines Heimatdorfes in Idlib. 32 Kämpfer waren dort mit ihm, Bosnier, Afghanen, Deutsche, Franzosen. Er hat in dieser Zeit 19 Kilo verloren. Jeden Morgen, eine Stunde vor dem ersten Gebet, gingen sie joggen.
Abu Ahmad sagt: "Es gibt eine Gruppe nur für Deutsche, in Azaz. Dort sind Hunderte von deutschen Kämpfern." Die Geheimdienste kennen das Gerücht. Ob es das Camp gibt, ist nicht durch Dokumente zu belegen. Gesichert ist, dass in den Reihen von Isis Islamisten aus über 70 Ländern kämpfen, auch viele Europäer. "Manche", sagt Abu Ahmad, "bleiben nur einen Monat und kommen dann immer wieder. Es ist alles sehr organisiert."
Die Ausländer werden in Hotels in Ankara und Istanbul empfangen. Ihnen wird alles abgenommen, Handys, Laptops. Mittels guter Kontakte auf der türkischen Seite werden sie über die Grenze geschmuggelt. Dort bekommen sie ihre Sachen wieder. Viele Kämpfer bringen ihre Ehefrauen mit. "Ich hab mich in eine deutsche Frau verknallt, deren Augen so blau waren wie dein Schal", sagt Abu Ahmad. "Sie war wunderschön. "

Isis hat ein riesiges Netzwerk

Durch die vielen Ausländer, sagt Abu Ahmad, habe Isis ein riesiges weltweites Netzwerk. In einer Basis hat er die Karte des Islamischen Staates gesehen, den sie planen. Er geht von Syrien über die Grenze in den Irak. Sagt er. Er bittet um ein Stück Papier und malt das Reich nach, es sieht aus wie ein Bumerang. "Sie bereiten ein Dschihadistennetzwerk vor, das mächtiger ist, als al-Qaida es je war."
Er sagt, Isis finanziere sich mithilfe zweier großer Ölfelder um Hama, mitten in Syrien, und über 150 kleine Ölfelder an der Grenze zum Irak. Öl ist das Haupteinkommen. "Sie fördern 13.000 Barrel täglich und verkaufen ein Barrel für 20 Dollar."
Vor ein paar Tagen erst fielen der irakischen Armee USB-Sticks in die Hände, auf denen die kompletten Finanzdaten der Organisation zu finden waren. Dem britischen "Guardian" sagte ein irakischer Geheimdienstmann: Vor der Attacke auf Mossul habe "das gesamtes Bargeld und die Anlagen einen Wert von 875 Millionen Dollar" gehabt. Erbeutet vor allen Dingen aus dem Ölgeschäft im Osten Syriens an der Grenze zum Irak. Nach dem Raubzug hat Isis sogar geschätzte 1,5 Milliarden Dollar mehr.
Abu Ahmad, der Prinz, von dem man nicht so genau weiß, ob er es noch ist, will, dass man ihm zuhört. Dass man ihm seine volle Aufmerksamkeit widmet. Unterbricht man ihn, um seine Geschichten abzukürzen, schürzt er die Lippen und wartet, bis alle ruhig sind. Dann erzählt er weiter, offenbar unbeirrt.

Sein Leben durchzieht eine Blutspur

Die grausamen Geschichten erzählt er besonders ausführlich. Seine Augen lassen einen nicht mehr los. Unter Hängeliedern quellen sie hervor, Augen, die einen kalt und bewegungslos anstarren. Er ist unstet. Der rote Faden seines Lebens ist eine Blutspur. Er hat in vier Gruppen gekämpft, seitdem er im April 2011 anfing, im syrischen Bürgerkrieg mitzumischen. Er hat die Seiten gewechselt, ist zum Feind übergelaufen. Und wieder zurück, wenn ihm danach war. Er ist einfach davongelaufen, mehrfach, auch jetzt, auch vor Isis. Er hat plötzlich festgestellt, dass er alles nicht will, was Isis will.
Er will rauchen, Frauen, Alkohol. Er hat genug von den Kämpfen und den Verletzungen, sagt er. Deshalb hat er Angst. Deshalb ist er hier. Doch auch von der Türkei hat er schon wieder genug. Er sagt, er würde wieder zu Isis zurückgehen. Aber vielleicht hat er es sich dieses Mal mit den Falschen verscherzt.
Mit dem Morden, mit all den Toten, hat er kein Problem. Die Gesichter verfolgen ihn nicht, auch nicht in seinen Träumen. Sagt er. "Ihr habt ein anderes Gesetz. In meinem ist das Recht."
Mitarbeit: Munzer al-Awad

Quelle: Welt.de
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