Brand in berühmter Kathedrale Der Blei-Streit um Notre-Dame
Hat die brennende Kathedrale Notre-Dame Paris mit Blei vergiftet? Nein, sagen Behörden. Ja, sagen Aktivisten und werfen der Stadt Vertuschung vor. Wie gefährlich ist das Schwermetall?
MARTIN BUREAU/ AFP
Montag, 12.08.2019 18:51 Uhr
Wenig Zeit? Am Textende gibt's eine Zusammenfassung.
Nach dem Brand von Notre-Dame Mitte April werfen Umweltaktivisten Pariser Behörden vor, die Gefahr durch das dabei freigewordene Blei vertuscht zu haben und sehen historische Parallelen. Der Geruch von
Tschernobyl wabere seit dem Brand von Notre-Dame durch Frankreichs Hauptstadt, heißt es.
Nach dem Super-GAU in dem sowjetischen Kernkraftwerk 1986 hatte die französische Regierung die gesundheitlichen Folgen heruntergespielt und behauptet, die radioaktive Wolke habe an der französischen Grenze haltgemacht. Dabei lässt sich bis heute radioaktives Tschernobyl-Cäsium in französischen Böden nachweisen.
Nun wittert die Aktivistengruppe
"Robin des Bois", auf Deutsch "
Robin Hood", die nächste Verschwörung. Ihr Vorwurf: Die Pariser Stadtverwaltung habe die Gesundheitsgefahr durch das beim Notre-Dame-Brand freigewordene Blei bewusst kleingeredet und zu spät darauf reagiert. Die Umweltaktivisten haben deshalb Klage eingereicht.
Sind Pariser Kinder in Gefahr?
Tatsächlich wurden durch den Brand erhebliche Mengen Blei frei. Das zerstörte Dach und der Spitzturm waren mit Hunderten Tonnen Bleiblech gedeckt. Die Hitze brachte das Schwermetall zum Schmelzen und Verdampfen, das Blei breitet sich über die Stadt aus.
Das giftige Schwermetall schadet beispielsweise dem zentralen Nervensystem und damit auch dem Gehirn, der Blutbildung und der
Verdauung. Einmal im Körper verteilt es sich im Gehirn, der Leber, den Nieren, den Knochen.
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Vor allem für Schwangere kann Blei gefährlich sein, weil das Schwermetall zu Fehlgeburten führen kann. Auch Kleinkinder sind besonders anfällig für Bleivergiftungen, weil ihr Körper vier- bis fünfmal so viel davon aufnimmt wie der eines Erwachsenen, schätzt die Weltgesundheitsorganisation
WHO. Zudem neigen Kinder eher dazu, sich Dinge in den Mund zu stecken.
Laut der WHO gibt es keinen Bleiwert im Blut, der als sicher angesehen werden kann. Schon niedrigere Werte um 50 Mikrogramm pro Liter Blut stünden möglicherweise im Zusammenhang mit verminderter
Intelligenz bei Kindern, Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwierigkeiten. Verbände und Gewerkschaften forderten vergangene Woche sogar, die Kathedrale mit einer
Schutzglocke zu versehen.
Mehr als 160 Kinder mussten untersucht werden
Die Diskussion um Blei ist in Europa auch deshalb noch so präsent, weil seit April 2018 Produkte mit einem hohen
Bleigehalt EU-weit verboten sind. Das Verbot trifft auch das beliebte Bleigießen an
Silvester.
Nach dem Brand waren die Bleiwerte in der Pariser Innenstadt teilweise deutlich erhöht, auch Schulen und Kindergärten waren betroffen, berichtete die Plattform
"Mediapart". Trotzdem hätten die Behörden erst Wochen nach dem Brand Proben an den zehn betroffenen Schulen und Krippen im Umkreis von 500 Metern genommen. Die Behörden weisen die Vorwürfe zurück.
Das Blut von mehr als 160 Kindern wird nun regelmäßig untersucht. Sechs der Kinder stehen laut Behördenangaben unter besonderer Überwachung, weil in ihrem Blut ein Bleigehalt von 25 bis 50 Mikrogramm pro Liter gemessen wurde.
Schulen werden "gründlich" gereinigt
Bei einem der Kinder lag die Bleibelastung Ende Juli bei mehr als 50 Mikrogramm pro Liter. Es geht in eine Grundschule, die wegen hoher Bleiwerte auf dem Schulhof geschlossen worden war. Nach Angaben der Gesundheitsbehörde ist aber noch nicht zweifelsfrei geklärt, ob das Blei im Blut des Kindes bei dem Brand freigesetzt wurde. Bei seiner Schwester, die in einen Kindergarten im selben Gebäude geht, wurden demnach weniger als 25 Mikrogramm pro Liter gemessen.
Auch außerhalb des 500-Meter-Umkreises von Notre-Dame gibt es Schulen, die deutlich mit Blei belastet sind. Diese werden bis zum Ende der Sommerferien "gründlich" gereinigt, sagte Paris' Vize-Bürgermeister Emmanuel Grégoire vergangene Woche.
"Keine Gefahr" - auch nicht für Touristen
Wegen der hohen Bleibelastung waren auch die Arbeiten an der Kathedrale Ende Juli unterbrochen worden. Für die Arbeiter sollen künftig neue Sicherheitsvorschriften gelten. Atemmasken und weiße Schutzanzüge sind mittlerweile Pflicht (mehr zu den Wiederaufbauarbeiten und der Baustelle
lesen Sie hier). Sobald die Arbeitsschutzbehörden die neuen Vorkehrungen abgesegnet haben, sollen die Arbeiten weitergehen. Im Gespräch ist derzeit der 19. August.